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Nach dem Ordnungsruf aus Karlsruhe – wie geht es weiter?

24.11.2023

Eine gute Woche nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 für nichtig zu erklären, kämpft die Koalition aus SPD, Grünen und FDP mit den Folgen dieses Urteils. Dies gilt umso mehr, als sich die Einsicht durchgesetzt hat , dass hiervon nicht nur die Kreditermächtigungen für den Klima- und Transfomationsfonds (KTF) betroffen sind. Vielmehr gilt dies wohl auch für Ausgaben des wesentlich größeren Wachstums- und Stabilisierungsfonds (WSF) und einiger anderer kleinerer Sondervermögen. Denn auch bei ihnen wollte die Bundesregierung die für das kommende Jahr geplanten Ausgaben nicht auf die Schuldenbremse anrechnen, da ihnen bereits in den Vorjahren Kreditermächtigungen eingeräumt worden waren oder sie Mittel aus dem Bundeshaushalt erhalten hatten. Genau dies war aber vom Bundesverfassungsgericht bemängelt worden. Zumindest im Hinblick auf den WSF scheint auch die Bundesregierung dies so zu sehen.

Nachtragshaushalt für 2023 und erneutes Aussetzen der Schuldenbremse
Die daraus entstehenden Probleme betreffen nicht nur den Haushalt für das kommende Jahr, sondern auch den für das laufende Jahr 2023. Denn mit diesem sollte zum ersten Mal seit 2019 wieder die Schuldenbremse eingehalten werden. Anders als bisher geplant, müssen nun aber die Auszahlungen der Sondervermögen bei der Berechnung der Schuldenbremse berücksichtigt werden. Ursprünglich waren für diese negative Salden in einem Umfang von mehr als 149 Mrd Euro geplant, wobei der Löwenanteil hiervon auf den WSF entfiel. Der tatsächliche Fehlbetrag dürfte nach Angaben aus dem Finanzministerium wohl eher bei 40 bis 45 Mrd Euro liegen, unter anderem weil die Preise für Strom und Gas und damit auch die Ausgaben des Staates für die sogenannten Preisbremsen deutlich niedriger waren als bei der Planung unterstellt. Allerdings reicht dies aus, um den Fehlbetrag des Gesamthaushalts deutlich über die von der Schuldenbremse erlaubte Obergrenze zu treiben.

Gestern hat der Finanzminister für nächste Woche die Vorlage eines Nachtragshaushalts für dieses Jahr angekündigt, der unter anderem die Ausgaben für die Strom- und Gaspreisbremse auf eine verfassungskonforme Grundlage stellen soll. Gleichzeitig soll die Schuldenbremse für 2023 erneut ausgesetzt werden. Offensichtlich soll dies noch einmal mit den stark gestiegenen Energiepreisen begründet werden, wobei es ist nicht abschließend klar ist, ob diese Begründung der neuerlichen Aussetzung im Falle einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. An den Ausgaben für dieses Jahr wird sich durch diesen Nachtragshaushalt nichts mehr ändern, sodass sich die Folgen für die Wirtschaft in Grenzen halten werden.

Haushalt 2024: Wie schließt man ein großes Haushaltsloch?
Anders sieht dies natürlich für den Haushalt 2024 aus. Rechnet man die für das kommende Jahr geplanten Defizite der wahrscheinlich betroffenen Sondervermögen zusammen, die wohl von dem Urteil betroffen sind, kommt man nach den Berechnungen der Bundesbank auf 52 Mrd Euro. Auch wenn sicherlich manche dieser Ansätze nach den Erfahrungen dieses Jahres etwas niedriger angesetzt werden könnten, verbleibt ein beträchtliches Loch in der Budgetplanung.

Änderung des Grundgesetzes ...
Um dieses zu schließen, kursieren derzeit verschiedene Vorschläge. Am wenigsten erfolgversprechend sind wohl diejenigen, die eine Änderung des Grundgesetztes beinhalten. Hierunter fallen neben einer Reform (sprich Lockerung) der Schuldenbremse auch die Aufnahme eines weiteren schuldenfinanzierten Sondervermögens für die Klimapolitik in das Grundgesetz, dessen Defizite analog zum im vergangenen Jahr etablierten Sondervermögen für die Bundeswehr bei der Schuldenbremse nicht berücksichtigt würden. Denn die für eine Änderung des Grundgesetzes notwendige 2/3-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat dürfte nicht zu erreichen sein, da CDU und CSU der Koalition diesen „einfachen“ Ausweg aus ihren aktuellen Problemen wohl kaum öffnen wollen. Auch die FDP dürfte insbesondere die Lockerung der Schuldenbremse ablehnen.

... und neuerliche Notlage mit vielen Problemen, ...
Einfacher zu bewerkstelligen wäre ein neuerliches Aussetzen der Schuldenbremse, da hierfür „nur“ die Zustimmung der drei Koalitionsfraktionen notwendig wäre. Darum wird diese Lösung auch von vielen Vertretern der SPD und der Grünen propagiert. Allerdings ist auch hier die Zustimmung der FDP fraglich, da ihr Parteivorsitzender, Finanzminister Lindner, immer wieder das Ziel verkündet hat, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten.

Aber selbst wenn die FDP ihren Widerstand aufgeben würde, liefe die Regierung Gefahr, mit dieser Lösung erneut in Karlsruhe zu scheitern. Denn die Opposition würde gegen diesen Beschluss sicherlich wieder klagen, und im Hinblick auf das kommende Jahr würde die Beurteilung des Vorliegens einer Notlage durch das Bundesverfassungsgericht wohl noch einmal kritischer ausfallen als für 2023, insbesondere wenn diese Notlage mit der „Energiekrise“ begründet würde, wie es zumeist vorgeschlagen wird:

  • Erstens ist fraglich, inwieweit die Krise überhaupt noch besteht, und das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil klargemacht, dass es an die Begründung einer Notlage hohe Maßstäbe ansetzen würde, insbesondere wenn diese schon länger währt und sie schon mehrmals für eine Aussetzung der Schuldenbremse angeführt wurde.
  • Zweitens haben viele der über den Klima- und Transformationsfonds finanzierten Ausgaben kaum einen Bezug zu den gestiegenen Energiepreisen (etwa die zugesagten Subventionen von Chip-Fabriken). Und dies war einer der Kritikpunkte des Bundesverfassungsgerichts bei seiner Entscheidung gewesen.

... sodass wohl nur die „klassischen“ Wege bleiben, ...
Somit bleiben wahrscheinlich nur die „klassischen“ Wege, um ein Haushaltsloch zu schließen: die Erhöhung von Steuern bzw. die Verringerung der Ausgaben. Auch hier gibt es innerhalb der Koalition diametral entgegengesetzte Ansichten. Während SPD und Grüne für diesen Fall klar höhere Abgaben präferieren, lehnt die FDP dies kategorisch ab und will stattdessen bei den Sozialausgaben und den mit dem KTF finanzierten Projekten sparen. Ein normalerweise zu erwartender Kompromiss der Art, dass jeweils etwa die Hälfte über einen der beiden Wege erbracht wird, wird insbesondere dadurch erschwert, dass die FDP ihren Widerstand gegen Steuererhöhungen zu einem Teil ihres Markenkerns gemacht hat. Würde sie hier nachgeben, dürften ihre bereits niedrigen Umfragewerte noch weiter abrutschen und sich ihre Wahlchancen für die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen weiter verschlechtern.

... die die Koalition auf die Probe stellen ...
Auch wenn gewisse Einsparungen wie ein Auslaufen der Preisbremsen für Gas und Strom bereits zum Ende dieses Jahres (und nicht erst Ende März 2024) wahrscheinlich relativ schnell zu vereinbaren wären, dürfte eine Einigung auf Einsparungen in dem notwendigen Umfang eines höheren zweistelligen Milliardenbetrages angesichts der sehr unterschiedlichen Ansichten in den drei Parteien sehr schwerfallen. Darum dürften die aktuellen Probleme den Zusammenhalt der Koalition ernsthaft auf die Probe stellen. Dies gilt umso mehr, als auch innerhalb der Parteien die Kritik zunimmt. So haben Kritiker an der Ampelkoalition erreicht, dass es in der FDP eine Mitgliederbefragung geben wird, ob die FDP die Koalition verlassen soll. Deren Ergebnis ist zwar nicht bindend, ein deutliches Votum gegen die Koalition würde aber zumindest den Druck auf die Parteiführung erhöhen, innerhalb der Koalition ihren Standpunkt durchzusetzen.

Insgesamt halten wir es für das wahrscheinlichste Szenario, dass sich die drei Partner am Ende zusammenraufen werden und das Haushaltsloch in erster Linie mit Einsparungen wie einem früheren Ende der Preisbremsen, der Streckung von Projekten und allgemeinen pauschalen Kürzungen schließen werden. Gewisse Kürzungen könnte es auch bei den sogenannten „klimaschädlichen Subventionen“ geben.

... und die Konjunktur zusätzlich bremsen werden
Einsparungen und/oder Steuererhöhungen des Bundes in einem Umfang von 40 bis 50 Mrd Euro oder gut einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes würden die Konjunktur in Deutschland sicherlich zusätzlich belasten, insbesondere wenn zusätzlich auch einige Bundesländer ihre Haushaltsplanungen wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts anpassen müssten. Damit werden Prognosen eines Wachstums der deutschen Wirtschaft im kommenden Jahr von mehr als 1% noch unwahrscheinlicher als sie aus unserer Sicht schon vorher waren. Wir haben bisher schon für das kommende Jahr ein neuerliches Schrumpfen der Wirtschaft um 0,3% erwartet, und für diese Prognose haben sich die Risiken wohl eher noch in Richtung einer noch schwächeren Entwicklung verschoben.

Fazit

Fazit

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat die Planungen für den Bundeshaushalt 2024 über den Haufen geworfen, und in der Bundesregierung besteht bisher keine Einigkeit, wie die sich daraus ergebenden Haushaltslöcher gestopft werden sollen. Eine Änderung der Schuldenbremse dürfte wohl kaum die notwendige Zustimmung von CDU und CSU finden. Da die FDP die von Vertretern der SPD und der Grünen vorgeschlagenen zusätzlichen Schulden oder höheren Steuern wohl kaum mittragen wird, muss das Loch wohl größtenteils mit Kürzungen bei den geplanten Ausgaben geschlossen werden, wenn die Koalition nicht auseinanderbrechen soll


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