Mind the gap

02.06.2021 – Frauen verdienen im Durchschnitt immer noch deutlich weniger als Männer – vor allem in Westdeutschland. Das ist auch deshalb ein Problem, weil Frauen so weniger sparen und anlegen können.

Eine Frau bildet mit ihren Armen ein Ist-Gleich-Zeichen

Alles was ihr über den Gender Pay Gap wissen müsst

Studien zu den erheblichen Unterschieden im Bruttostundenverdienst zwischen Mann und Frau sorgen seit Jahren für Schlagzeilen und Debatten: Auf der einen Seite stehen Aussagen zur strukturellen Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und zu ihrem Fehlen in Führungspositionen. Auf der anderen ein Herunterspielen der Sachlage. Gerade Westdeutschland ist vom Gender Pay Gap besonders betroffen. Dieser Artikel gibt euch einen Überblick über die Zahlen und Fakten der Lohnlücke, deren Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit und die Faktoren, die sich auf die Höhe des Verdienstabstandes auswirken.

Was ist der Gender Pay Gap?

Der englische Begriff bezeichnet den Verdienstunterschied zwischen den Geschlechtern. Etwas genauer ergibt sich der Gender Pay Gap aus der durchschnittlichen Differenz zwischen dem Brutto-Einkommen aller Männer und aller Frauen und wird berechnet als prozentualer Anteil am Verdienst der Männer.

Einmal pro Jahr veröffentlicht das statistische Bundesamt die Daten für die Lohnunterschiede in Deutschland – für das ganze Land, aber auch für West- und Ostdeutschland. Die Zahlen des Bundesamts zeigen deutliche Unterschiede innerhalb Deutschlands.

Für die Europäische Union liefert Eurostat die Werte für den Verdienstabstand. Die Statistiken geben wichtige Hinweise auf die Lohnlücke und damit auf die ungleiche Stellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft.

Wie groß ist die Lohnlücke?

Frauen verdienten in ihren Berufen im Jahr 2019 durchschnittlich 19% weniger als Männer. Das entspricht einem Bruttostundenverdienst von 17,72€ vs. 22,16€.

Bei diesen Werten handelt es sich um den unbereinigten Gender Pay Gap: Er wird pauschal berechnet und misst ausschließlich den durchschnittlichen Verdienst. Der unbereinigte Gender Pay Gap berücksichtigt nicht den Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern mit dem gleichen Beruf, einem identischen Bildungsabschluss oder der gleichen Qualifikation.

Der bereinigte Gender Pay Gap hingegen bildet die Lohnunterschiede ab, die zwischen Arbeitnehmer:innen in vergleichbarer Position und mit der gleichen Qualifikation bestehen. Er versucht (dadurch), Verzerrungen des Verdienstabstandes zu vermeiden. Dieser Wert wird nur alle vier Jahre berechnet und betrug für das Jahr 2018 unverändert 6%. Katharina Wrohlich und Julia Schmieder argumentieren dafür, den missverständlichen Begriff “bereinigt” durch “angepasst” zu ersetzen, da auch dieser Wert nicht frei von unberücksichtigten Einflüssen ist. Das entspricht auch der Wortwahl auf EU-Ebene.

Was der angepasste Gender Pay Gap nicht abbildet, sind Hinweise auf grundlegende Strukturen von Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt, die hinter der Lohnlücke stehen. Berufe, in denen Frauen arbeiten, werden aufgrund der gesellschaftlich geringeren Wertschätzung schlechter bezahlt. Ihnen werden seltener Führungspositionen ermöglicht und arbeiten vor allem in Westdeutschland häufiger dauerhaft in Teilzeit. Letzteres meist aufgrund von mehr Care-Arbeit, also der Pflege und Betreuung von Kindern und anderen Angehörigen. Ganze 71% des unterschiedlichen Bruttostundenverdienstes sind auf strukturelle Gründe rückführbar.

Wo und für wen ist der Gender Pay Gap besonders hoch?

Verschiedene Einflussfaktoren wirken sich auf die Höhe der Lohnunterschiede und damit auf die Lohnlücke aus.

Deutschland & Europa im Vergleich

Innerhalb von Deutschland zeigt sich zwischen den alten und den neuen Bundesländern ein signifikanter Unterschied im Bruttostundenverdienst:

  • In Westdeutschland ist der Gender Pay Gap mit 20% fast dreimal so hoch wie in den neuen Bundesländern, wo die Lohnlücke unverändert 7% betrug.

Für die Lohnunterschiede in der Europäischen Union ergeben sich folgende Werte:

  • Im Jahr 2019 waren 67,3% der Frauen auf dem Arbeitsmarkt tätig und 79% der Männer.
  • Dieser Wert steht in einem Missverhältnis zur vorhandenen Qualifizierung, sind doch 60% der europäischen Universitätsabgänger:innen weiblich.
  • Der Gender Pay Gap betrug auf EU-Ebene für 2019 durchschnittlich 14,1%. Das heißt, eine Frau verdiente 86 Cent für jeden Euro, den ein Mann erhielt.
  • Dies betrifft nicht nur den unbereinigten Verdienstabstand: Arbeitnehmerinnen kamen auch mit der gleichen Qualifikation und Position auf einen geringeren Bruttostundenverdienst.
  • Deutschland bleibt mit einer Lohnlücke von 19% an der Seite von Estland, Österreich und Tschechien weiterhin unter den Schlusslichtern.
  • Rumänien, Luxemburg und Italien haben mit unter 5% den niedrigsten Verdienstunterschied.

Niedrigere Werte beim Verdienstabstand bedeuten nicht zwangsläufig ein besseres Einkommen oder mehr Frauen in Führungspositionen. Sie sind möglicherweise weniger auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Hohe Werte bei den Lohnunterschieden finden sich oftmals in Ländern, in denen viele Frauen im Niedriglohnsektor oder in Teilzeit arbeiten.

Berufsfeld, Position & Arbeitszeit

Die Größe der Lohnlücke hängt ab vom Sektor, in dem Arbeitnehmer:innen tätig sind, sowie davon, ob sie in Führungspositionen und in Voll- oder Teilzeit arbeiten.

  • Der Gender Pay Gap ist in der privaten Wirtschaft mit 21% wesentlich ausgeprägter als im öffentlichen Dienst mit 7%.
  • In einigen Branchen erzielen die Lohnunterschiede Spitzenwerte: Etwa Kunst, Unterhaltung und Erholung mit einer Lohnlücke von 29%, gefolgt vom Gesundheits- und Sozialwesen mit 25% und dem Bereich Information und Kommunikation mit jeweils 24%.
  • Dieser Verdienstabstand zeigt sich auch bei gleicher Leistung und Qualifikation.
  • Für Vollzeitbeschäftigte fällt der Gender Pay Gap höher aus als für Arbeitnehmer:innen in Teilzeit.
  • Mit der Position innerhalb der Unternehmen steigen die Verdienstabstände deutlich an. Die höchsten Differenzen beim Bruttostundenverdienst zeigen sich bei Vollzeitarbeit in Führungspositionen: Im Jahr 2019 betrugen die Lohnunterschiede 19,3%; für Ungelernte sind es nur 5,8%.

Dietmar Hobler, Svenja Pfahl und Julia Spitznagel bringen das Paradox der beruflichen Situation auf den Punkt: „Je besser die Frauen in den Arbeitsmarkt eingebunden sind – gemessen an Erwerbsumfang und beruflicher Position – desto größer fällt der Verdienstabstand gegenüber Männern (in vergleichbaren Positionen) aus.”

Alter & Familie

Unterschiedliche Gender Pay Gaps zeigen sich in Deutschland auch hinsichtlich der Altersgruppen:

  • Die niedrigste Differenz im Bruttostundenverdienst findet sich in der Gruppe der 25- bis 30-Jährigen, bei denen die Lohnunterschiede nur 9% betragen.
  • Für Arbeitnehmer:innen über 30 steigt der Verdienstunterschied konstant an. Die meisten Männer gehen ihrem Beruf nach der Geburt des ersten Kindes weiterhin in Vollzeit nach, erhalten Beförderungen und höhere Löhne.
  • Der bereits bestehende Verdienstabstand wirkt als Verstärker für traditionelle Aufgabenverteilung: Es ist oft finanziell günstiger für Familien, wenn der Mann seinen meist höher entlohnten Beruf fortsetzt.
  • Viele Frauen arbeiten längerfristig in Teilzeit, kommen auf weniger Bruttostundenverdienst, bleiben von Beförderungen ausgeschlossen und erreichen seltener Führungspositionen.
  • Das Resultat ist ein Gender Pay Gap von 28% bei den über 50-Jährigen.
  • Frauen auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt sind stärker betroffen: In Ostdeutschland verdoppelt sich die Lohnlücke von 6% bei den unter 30-Jährigen auf 12% bei den über 50-Jährigen. Zudem sinkt der Anteil der Arbeitnehmerinnen in Teilzeit ab dem 40. Lebensjahr wieder – und damit gehen die Lohnunterschiede zurück.

Die Langzeitfolgen des unterschiedlichen Bruttostundenverdienstes zeigen sich am Ende der Erwerbstätigkeit:

  • Frauen erhalten im Schnitt 45% weniger Rente als Männer.
  • Auch hier steht Deutschland im europäischen Vergleich sehr schlecht da: Auf der Ebene der Europäischen Union beträgt der Gender-Pension-Gap, also der Unterschied zwischen den Einnahmen durch Renten 30,1%.

Ein besorgniserregender Wert, der sich zwangsläufig aus den Lohnunterschieden ergibt: Wo weniger Einnahmen sind, ist auch weniger zum Sparen und Anlegen da.

Die Entwicklung der Lohnlücke

Den Verdienstabstand zu reduzieren ist seit Jahren ein zentrales Thema für die Politik, die Gesellschaft und die Unternehmen – zusammen mit dem Bestreben, mehr Führungspositionen mit Frauen zu besetzen.

  • Obwohl die Debatte bereits in den 1970er-Jahren aufkam, haben die Unterschiede im Bruttostundenverdienst seit den 90ern erst einmal zugenommen.
  • Zwischen 2006 und 2015 betrugen die Lohnunterschiede konstant 24%, mit Ausnahme der Jahre 2013 und 2015, in denen es 23% waren.
  • Erst seit 2016 ist der Gender Pay Gap leicht rückläufig. Die Daten sprechen für einen langsamen Rückgang der Lohnunterschiede. Hobler und Pfahl machen für die leichte Verringerung vor allem die Einführung bzw. Erhöhung des Mindestlohnes im Jahr 2015 bzw. 2017 verantwortlich.
  • Für 2019 ist der Wert für die Lohnlücke erstmals unter 20% gesunken.

Die Prognose fällt jedoch ernüchternd aus:

  • Laut einer Studie der European Trade Union Confederation bräuchte es noch genau 100 Jahre, bis Frauen und Männer in Deutschland auf den gleichen Bruttostundenverdienst kommen und die Lohnunterschiede, vor allem in Westdeutschland, ausgeglichen sind.
  • Auf EU-Ebene wird es bis 2104 dauern, bis der Verdienstabstand beseitigt ist.

Gender Pay Gap: Was tun?

Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Stiftungen und Forschungseinrichtungen betreiben Ursachenforschung, leisten Aufklärungsarbeit und regen zum Gegensteuern an. Zu ihren Zielen gehören:

  • ein gerechterer Arbeitsmarkt
  • Veränderungen in der Lohn- und Tarifpolitik
  • der gleiche Bruttostundenverdienst für die gleiche Tätigkeit
  • mehr Frauen in Führungspositionen
  • bessere Angebote zur Kinderbetreuung
  • juristische Grundlagen, um gegen Diskriminierung vorzugehen
  • das Schließen der Lohnlücke
  • die Sensibilisierung für Geschlechter-Stereotype, vor allem bei der Wahl des Berufs

Die Hans-Böckler-Stiftung, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehört, publiziert beispielsweise regelmäßig Daten und Analysen zum Thema Gender, Arbeitsmarkt und Lohnunterschiede.

„Girl’s Day“ und „Komm, mach MINT“ setzen sich dafür ein, die Attraktivität von Berufen zu erhöhen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind.

Der 1966 in den USA entstandene Equal Pay Day macht auf den Verdienstabstand aufmerksam: Er fand jedes Jahr am 21. März statt, denn: Genau so viel müssten Frauen mehr arbeiten, um aufs Jahr gerechnet denselben Bruttostundenverdienst zu erhalten wie Männer. Da die Lohnlücke nun erstmalig unter 20% gesunken ist, wurde der diesjährige Equal Pay Day auf den 10. März vorverlegt.

Und was kann ich persönlich unternehmen?

Der Weg zu einer Verringerung des Verdienstabstandes, zu mehr Frauen in Führungspositionen und einem gerechten Bruttostundenverdienst ist langsam. Dennoch gibt es einen gewissen Handlungsspielraum für den Umgang mit dem Gender Pay Gap:

  • Kommuniziert offen und trefft klare Vereinbarungen in eurer Familie, Partnerschaft oder Ehe.Diese betreffen die Prioritätensetzung, etwaige Familienplanung, Karrierevorstellungen, finanzielle und materielle Ziele sowie die Aufteilung der Hausarbeit.
  • Nehmt eure Altersvorsorge selbst in die Hand. Hierbei hilft euch Vermögensaufbau mit einem Fonds- oder ETF-Sparplan, die PrivatRente oder eine Betriebliche Altersversorgung.
  • Tipp: Natascha Wegelin, alias Madame Moneypenny, beschäftigt sich in ihrem Buch und auf ihrem Blog mit dem Thema Altersarmut bei Frauen und Vermögensaufbau.
  • Hinterfragt euer eigenes Mindset und das eurer Mitmenschen in Bezug auf vermeintliche Selbstverständlichkeiten.
  • Engagiert euch. Gewerkschaften und Organisationen bieten viele Möglichkeiten, sich aktiv für eine bessere Zukunft einzusetzen.
  • Kennt eure Rechte. Es gibt juristische Möglichkeiten, gegen Diskriminierung in Form von Lohnunterschieden vorzugehen.

Gender Pay Gap – noch lange nicht Geschichte

Die Bundesregierung plant, den Abstand im Bruttostundenverdienst bis 2030 auf 10% zu senken. Auch die Anzahl der Frauen in Führungspositionen soll höher werden. Die bisherige Entwicklung lässt jedoch ein zeitnahes Schließen der Lohnlücke fraglich erscheinen. Es besteht nach wie vor Handlungsbedarf in Sachen Verdienstabstand und gerechter Arbeitsmarkt – seitens der Politik, der Unternehmen, aber auch im Privaten. Dabei kann Westdeutschland, was Familienmodelle und Kinderbetreuung betrifft, definitiv weiterhin von den neuen Bundesländern lernen.