Auf dem Vormarsch
Der Beitrag erschien zuerst im Finance-Magazin am 16.05.2025
19.05.2025
Es ist ein Tag, der alles verändert hat: jener 24. Februar im Jahr 2022, als Russland in den frühen Morgenstunden seinen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine gestartet hat. Damit sei eine Zeitenwende eingeläutet, wie der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz wenige Tage später im Bundestag beschwor. Es herrscht wieder Krieg in Europa. Mit ihm stellt sich die Frage, ob die Europäische Union und Deutschland nach Jahrzehnten, in denen bei den Rüstungsausgaben gespart wurde, noch über die notwendige Stärke verfügen, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. Drei Jahre später ist diese Frage umso drängender, da unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump die transatlantischen Beziehungen deutlich abgekühlt sind. Spätestens seit dessen Forderungen in Richtung der Nato-Partner ist klar: Europa muss sich künftig stärker um seine Verteidigungsfähigkeit kümmern.
Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz hat noch weit vor dem Zustandekommen seiner Regierungskoalition ein großes Zeichen gesetzt: Nachdem bereits die Ampelregierung ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hatte, beschloss der Bundestag noch in alter Besetzung im März die Aussetzung der Schuldenbremse für Sicherheits- und Verteidigungsaufgaben. Damit kann der Bund nun theoretisch unbegrenzt in Verteidigung, Zivilschutz und Cybersicherheit investieren. Darüber hinaus hat auch die EU angekündigt, ihre Ausgaben für Rüstung signifikant steigern zu wollen. Dafür hat Brüssel ein Paket in Höhe von 800 Milliarden Euro bis 2030 geschnürt. Viel Geld, das vor allem europäischen Rüstungsunternehmen bis zum Ende des Jahrzehnts eine massive Auftragsschwemme bescheren dürfte. Die 100 Milliarden Euro aus dem ersten Sondervermögen des Bundes sind jedenfalls schon zu mehr als 80 Prozent verplant. Rund ein Drittel wird allerdings in Rüstungsgüter aus amerikanischer Produktion fließen, allen voran der Kauf von 35 Jets des Typs Lockheed Martin F-35A Lightning II. Diese sollen die in die Jahre gekommenen Tornado-Jagdbomber der Bundeswehr ersetzen - Kostenpunkt: 8,3 Milliarden Euro.
Die Rüstungsmilliarden sollen die europäische Verteidigung bis 2029 "abschreckungsbereit" machen und sichern der Branche auf Jahre hinaus volle Auftragsbücher und gute Geschäfte. Sie bedeuten für die Unternehmen jedoch auch zahlreiche Herausforderungen, wie Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), bestätigt. Mit den verabschiedeten Summen stellt sich nämlich die Frage, ob die Branche die benötigten Systeme überhaupt so schnell liefern kann. "Ja, das können wir", ist Atzpodien zuversichtlich. Dafür brauche es für die Unternehmen jedoch bald Planungssicherheit von Seiten der Politik. "Wir brauchen die konkreten Bedarfe, die die Bundesregierung - möglichst auch in Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern - nun schnell festlegen muss", betont der BDSV-Chef. Das früher ausufernde und eher ineffiziente Beschaffungswesen der Bundeswehr habe sich in den vergangenen drei Jahren bereits erheblich beschleunigt. "Die Milliardenpakete für die Verteidigung sind für die Bundeswehr zwingend, aber müssen auch von der Beschaffung erst einmal in Aufträge umgesetzt werden", so Atzpodien. Damit insgesamt die erforderliche Beschleunigung bis zur Ablieferung der Produkte bei der Truppe gelinge, brauche es regulatorische Erleichterungen. Als Beispiele nennt er etwa kürzere Fristen bei der Genehmigung neuer Produktionsstandorte sowie Anpassungen beim Vergabe- recht. "Im Grunde müssen jetzt alle Unternehmen in der Lieferkette die Produktion hochfahren und brauchen gleichzeitig die nötige Finanzierung", betont Atzpodien.
Banken sind gefragt
An dieser Stelle kommen die Banken ins Spiel. Sie haben sich bereits auf die neue Situation eingestellt. War bis zum Februar 2024 Rüstung noch ein ungeliebtes Kind der Finanzindustrie und passte unter ESG-Aspekten fast gar nicht mehr ins Bild, hat sich dies seither geändert. Spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Rüstungsbranche wieder in den Fokus von Banken und Investoren gerückt. Hatten die Rüstungshersteller zuvor angesichts verschärfter ESG-Richtlinien der Geldhäuser noch über mangelnde Finanzierungsbereitschaft geklagt, gehört diese Zurückhaltung mittlerweile der Vergangenheit an. "Viele Banken haben inzwischen ihre Richtlinien angepasst, so dass es ein Accessto-Finance-Problem so nicht mehr gibt", erläutert BDSV-Referentin Luisa Mohn. "Gerade große Geschäftsbanken unterstützen die Unternehmen der Branche bei der notwendigen Finanzierung."
Eine davon ist die Commerzbank, deren Schwerpunkt in diesem Segment vor allem auf der Handelsfinanzierung liegt, dem Kerngeschäft der Bank mit ihren deutschen Firmenkunden sowie namhaften europäischen und US-Rüstungskonzernen. "Der Defence-Bereich ist traditionell enorm handelsintensiv, da sich die Lieferketten häufig über viele Länder hinweg erstrecken", erläutert Alexander Mann, Global Head des Bereichs Industrials, in dem das Aerospace- und Defense-Geschäft der Bank angesiedelt ist. "Insofern ist die Verteidigungsindustrie für uns eine Kernbranche, zu der wir schon immer committet waren und es auch weiterhin sind. Das honorieren die Kunden aus dem Large- und Mid-Cap-Segment", ergänzt Firmenkunden-Bereichsvorstand Robert Schindler. Ihre diesbezügliche Policy habe die Bank daher nicht lockern müssen. Aber auch Landesbanken wie die LBBW und BayernLB zeigen sich inzwischen deutlich offener. Die wohl größte Kehrtwende in den hauseigenen Kriterien sieht BDSV-Referentin Mohn bei den Münchnern, die zuvor die härtesten Ausschlusskriterien in Sachen Rüstung hatten. So schloss die BayernLB Anfang 2022 noch all jene Unternehmen von der Kreditfinanzierung aus, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen mit Rüstung erwirtschafteten. Einzige Ausnahme: Geschäfte mit der Bundeswehr. Ende des vergangenen Jahres hat die BayernLB ihre diesbezügliche Policy jedoch geändert. So finanziert die Landesbank inzwischen "insbesondere die Wehr- und Rüstungsindustrie Deutschlands, der EU und Großbritanniens unter Einhaltung strenger Ausschlusskriterien". Zu diesen zählen unter anderem kontroverse und geächtete Waffen und deren Schlüsselkomponenten.
Derartige Ausschlusskriterien hat so oder ähnlich die Mehrheit der Geldhäuser in ihren eigenen Regelwerken formuliert. Auch bei Kleinwaffen, bei denen sich im Unterschied zu Panzern und Flugzeugen deutlich schwerer kontrollieren lässt, in welche Märkte sie über Umwege gelangen können, schauen viele Finanzierungspartner genau hin. Das bestätigt auch Jens Thiele, Firmenkundenchef der Hamburg Commercial Bank (HCOB). "Das ist mit Blick auf die ESG-Aspekte für uns vor allem eine Frage der Reputation", erläutert er. So schließt auch die HCOB etwa die Finanzierung von Unternehmen, die Handfeuerwaffen produzieren, aus. "Im Grunde hat sich an den Frameworks der Banken, was das angeht, kaum etwas verändert", weiß Bernd Liesenkötter, Partner und Co-Leiter Business & Commercial Banking beim Beratungshaus Zeb. Viele Häuser hätten jedoch ihre bisherigen Limits für Rüstungsfinanzierungen gelockert und wollten verstärkt auf das Rüstungsgeschäft setzen.
Investoren stürzen sich auf Aktien
Über Finanzierungsprobleme können vor allem die großen Rüstungskonzerne mit Kapitalmarktzugang derzeit nicht klagen - sowohl beim Eigen- als auch beim Fremdkapital. "Wir sehen eine wachsende Zahl von Investoren, die finanzieren möchten", berichtet BDSV-Referentin Mohn. Darunter befinden sich namhafte Player wie Allianz Global Investors oder DWS, die derzeit eigene Rüstungsfonds einrichten. Die Aktienkurse der Rüstungshersteller sind seit März 2022 geradezu explodiert, wie beispielsweise der von Rheinmetall. Das Papier hat allein seit Jahresbeginn ein Plus von 180 Prozent auf aktuell 1.695 Euro verzeichnet (Stand: 9. Mai).
Auch die Versorgung mit Cash von Bankenseite ist für die Konzerne zum Selbstläufer geworden, wie gleich mehrere CFOs gegenüber FINANCE bestätigen. So hat etwa der Taufkirchener Sensorikspezialist Hensoldt für das geplante Wachstum seine Finanzierung neu aufgestellt. Die Struktur mit einem Volumen von 1,8 Milliarden Euro setzt sich aus einem syndizierten Konsortialkredit in Höhe von 850 Millionen Euro, einer Brückenfazilität im Volumen von 150 Millionen Euro und zwei neuen revolvierenden Kreditlinien in Höhe von jeweils 400 Millionen Euro zusammen.
Mittelständler benachteiligt
Nicht ganz so trivial gestaltet sich die Lage für mittelständische Unternehmen, denen in der Regel der direkte Zugang zum Kapitalmarkt fehlt. Auch mögliche Börsengänge sind für sie kaum eine Option, weil die Unternehmen etwa im dazu notwendigen Börsenprospekt Risiken im Zusammenhang mit ihren Produkten angeben müssten. Mittelständler sind daher auf die klassische Unternehmensfinanzierung durch Banken angewiesen. Dabei steckt der Teufel oft im Detail. Auch wenn sich viele Banken gerade dem Sektor zuwenden, schauen sie bei der Risikobetrachtung genau hin. "Für die Kreditentscheidung spielt wie bei allen Branchen das Risikoprofil die entscheidende Rolle", betont Martin Brinckmann, Head of Small and Medium Corporates bei HVB/Unicredit. Ein genauer Blick gelte der Lieferkette und der Frage, in welchem Umfang etwa eine Finanzierung zum Ausbau der Produktionskapazitäten tatsächlich zu Aufträgen führe.
Nicht zuletzt aufgrund des bisherigen Beschaffungswesens im Rüstungsbereich ist das keine leichte Aufgabe: "Bislang haben Rahmenverträge vor allem mit großen Rüstungsproduzenten stark zugenommen. Diese enthielten zwar eine konkrete Ziel-Stückzahl der benötigten Waffensysteme; die konkreten Abrufe waren jedoch aufgrund der jeweiligen Haushaltslage meist deutlich geringer", erläutert BDSV-Geschäftsführer Atzpodien. So vergingen bislang zwischen Bestellung und Auslieferung mitunter Jahre, was nicht selten zu Liquiditätsengpässen bei den Herstellern führte.
Diese Volatilität sorgte bei den Zulieferern dieser Hersteller für eine unsichere Auftragslage und ein aus Bankensicht höheres Kreditrisiko. Ein Umstand, den auch die Deutsche Bank anführt. Zwar will Deutschlands größte Geschäftsbank ebenfalls mehr Geld für die Verteidigungsindustrie bereitstellen, fordert von der Politik jedoch einen Umbau des Beschaffungswesens. So dürfen Rüstungsunternehmen fast ausschließlich nur auf Bedarf und nicht auf Vorrat produzieren. Dieser und weitere Faktoren erschweren den Banken die Risikoabwägung. "Im ersten Schritt schlagen wir in solchen Fällen zunächst eine Supply-Chain-Lösung oder die Begleitung durch Förderprogramme vor und ergänzen im Anschluss durch weitere Finanzlösungen", erläutert HVB-Geschäftsführer Brinckmann. Dessen Haus zählt ebenso wie die Commerzbank neben den großen Rüstungsherstellern viele teils wenig bekannte mittelständische Zulieferer zu seinen Kunden. Vor allem unter diesen sei der Bedarf an Beratung zuletzt deutlich gestiegen. Dem wollen die Geldhäuser mit ihren Teams aus Branchenexperten Rechnung tragen.
Dabei schielen sie auch auf den sich rasant entwickelnden Bereich der Defence-Tech-Start-ups, zu denen etwa der Drohnenhersteller Quantum Systems oder Arx Robotics, ein Entwickler von Drohnen für den Einsatz am Boden, gehören. "Mit unserem Tech-Coverage-Team begleiten wir seit mehr als zehn Jahren Wachstumsunternehmen in unterschiedlichen Branchen. Für die Verteidigungsindustrie haben wir erfahrene Spezialisten und sind in der Lage, Investoren und Eigenkapitalgeber, unabhängig von der Branche, zusammenzubringen. Zusätzlich können wir Start-ups bereits in einer frühen Phase mit Fremdkapital beim Wachstum unterstützen", erläutert Lars Dürschlag, Head of TMT-Advisory bei HVB/Unicredit. Auch andere Banken zeigen sich offen für die bisweilen eher verschmähte Kundschaft der Start-ups. "Was das angeht, sind Banken durchaus opportunitätsgetrieben und erkennen schnell die Zeichen am Wegesrand", bringt es BDSV-Chef Atzpodien auf den Punkt. Bislang taten sich Start-ups hierzulande mit dem Schritt von Venture Capital zur klassischen Bankfinanzierung eher schwer.
Prinzipiell sind das also gute Aussichten für die CFOs der Rüstungsbranche. Sie dürften in den kommenden Jahren deutlich weniger Probleme bei der Finanzierung ihres Geschäfts haben. Zuvor ist jedoch die Politik gefragt. Sie muss nun schnell für Klarheit sorgen, wohin die in Aussicht gestellten Milliarden fließen sollen, und gleichzeitig die Reform des Beschaffungswesens vorantreiben.
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