„Feindliche Übernahmen sind selten erfolgreich“
Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Bettina Orlopp über die aktuelle Situation der Commerzbank, das Anlageverhalten in Deutschland und das Thema Diversity.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegel
24.10.2025
Frau Orlopp, Deutschland ist das drittreichste Land der Welt. Gleichzeitig hat laut einer aktuellen Studie über die Hälfte der Bevölkerung Angst, dass ihr Geld nicht reicht, um alle Rechnungen zu bezahlen. Wie passt das zusammen?
Das sollte uns natürlich nachdenklich machen. Es ist nicht gut, wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, gerade in so einem wohlhabenden Land wie Deutschland.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Was Geldthemen insgesamt angeht, sind wir sehr konservativ. Wir mieten Wohnungen, statt sie früh zu kaufen. Wir sparen, statt zu investieren. Früher waren es die Sparbücher, heute liegt das Geld bei vielen Menschen auf dem Tagesgeld- oder Girokonto. Oder sie halten es in bar. Die Skepsis bei Wertpapieren ist weiter sehr hoch.
Warum?
Aktienmärkte können stark schwanken. Viele nehmen vor allem die Ausschläge nach unten wahr. Was häufig ausgeblendet wird, ist, dass in Zeiten hoher Inflation Bargeld oder Geld auf dem Girokonto auch an Wert verliert. Natürlich ist das Investieren in Wertpapiere mit Risiken verbunden. Aber die letzten Jahrzehnte ist man damit immer besser gefahren.
Wie wollen Sie den Menschen mehr Mut zum Risiko vermitteln?
Es braucht mehr Vorbilder. Mehr öffentliche Personen, die Chancen statt Risiken in den Mittelpunkt stellen. Gerade in der Spitzenpolitik gab es zuletzt vor allem Mahner statt Mutmacher.
Sie meinen den früheren Bundeskanzler Olaf Scholz, der einst öffentlich bekundete, keine besonderen Geldanlageformen zu betreiben, sondern alles auf dem Sparbuch zu lassen?
Da gibt es viele Beispiele. Das hat einen enormen Effekt auf Menschen. Es befeuert die ohnehin hohe Skepsis bei Wertpapieren nur noch weiter. Dazu kommt: Je besser Menschen Finanzprodukte verstehen, desto leichter fällt es ihnen zu investieren.
Studien bescheinigen den Deutschen eine im europäischen Vergleich eher geringe finanzielle Bildung. Wo muss man ansetzen?
Schon in der Grundschule kann man Kindern spielerisch aufzeigen, dass sie später mehr von ihrem Taschengeld bekommen, wenn sie es nicht nur in ein Sparschwein stecken. Auf der weiterführenden Schule sollte man das dann viel stärker vertiefen als heute, ob in Mathematik, Sozialkunde oder einem dezidierten Fach Wirtschaft. Die geplante Frühstartrente der Regierung ist auch eine gute Idee, selbst wenn es nur um Kleinstbeträge wie zehn Euro im Monat geht. Anlegen sollte für die junge Generation zur Normalität werden.
Vor gut einem Jahr ist die Unicredit, Ihr Konkurrent aus Italien, überraschend als Aktionär bei der Commerzbank eingestiegen. Seitdem stockt sie ihren Anteil stetig auf. Unicredit-Chef Andrea Orcel würde die Commerzbank am liebsten ganz übernehmen. Was wäre so schlimm daran?
Als führende Bank für den deutschen Mittelstand sowie als vertrauenswürdiger Partner für Privat- und Geschäftskunden sind wir sehr erfolgreich. Wir glauben an unsere eigenständige Strategie und die damit verbundene weitere Wertsteigerung. Das honoriert auch der Kapitalmarkt. Wir sehen aktuell keinen erkennbaren Weg zu einer wertschaffenden Transaktion mit der Unicredit.
Der Unicredit gehört die HypoVereinsbank, die wie die Commerzbank auf den Mittelstand fokussiert ist. Würde es nicht Sinn ergeben, wenn beide zusammengehen?
Uns mangelt es nicht an irgendeinem Produkt, das die Unicredit oder die HVB anbieten – und genauso umgekehrt. Im Gegenteil: Wir decken einen sehr ähnlichen Markt ab. Unsere Kunden im Mittelstand und den Dax-Unternehmen überlappen sich. Bei einer Kombination wäre also eher mit Ertragseinbußen zu rechnen.
Zumindest auf der Kostenseite würden Sie aber profitieren. Durch ein Filialnetz, eine Zentrale, einen Vorstand …
Natürlich könnte man durchrechnen, was man theoretisch spart, wenn man nicht mehr zwei separate Netzwerke von 400 und 300 Filialen hätte. Auch bei den Zentralfunktionen könnte man durch eine Zusammenlegung sicherlich sparen. Das ganze Übernameszenario beschränkt sich schlussendlich auf die Kostenseite.
Aber dabei wird außer Acht gelassen, dass die Integration dieser zwei Systeme sehr aufwändig und mit signifikanten Umsetzungsrisiken behaftet wäre. Zwei Einheiten würden sich für mehrere Jahre vor allem mit sich selbst beschäftigen. Zukunftsthemen gerieten dadurch zwangsläufig in den Hintergrund.
Im internationalen Vergleich spielt die Commerzbank allerdings bisher keine große Rolle. Die EU-Kommission, die EZB, die Kapitalmärkte, sie alle halten eine Konsolidierung des europäischen Bankensystems – also weniger, dafür größere Banken – für nötig. Warum versperren Sie sich dem?
Wir bedienen vor allem den deutschen Mittelstand und Privatkunden, haben also ein fokussiertes Geschäftsmodell. Auch ich bin davon überzeugt, dass es für Europa wichtig ist, europäische Firmen zu haben, die mit den amerikanischen Großbanken konkurrieren können.
Dafür müsste aber zunächst endlich die Bankenunion vollendet werden. Heißt, wir brauchen eine gemeinsame Einlagensicherung, eine einheitliche Insolvenzverordnung, einen integrierten Kapitalmarkt. Solange das nicht der Fall ist, kann kein europäischer Player genug Kraft und Wert entwickeln.
Die Unicredit ist mit einem Commerzbank-Anteil von 29 Prozent mittlerweile der größte Aktionär. Wie wollen Sie eine Übernahme überhaupt noch verhindern?
Die Unicredit ist aktuell ein Minderheitsaktionär. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir konzentrieren uns darauf, weiter zu liefern, was wir versprechen, indem wir die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Monate fortsetzen. Börsenwert und Profitabilität verbessern sich Quartal für Quartal. Auch relativ zur Unicredit gesehen haben wir uns im laufenden Jahr sowie seit ihrem Einstieg besser entwickelt.
Der Aktienkurs der Commerzbank hat sich binnen eines Jahres fast verdoppelt. Die anderen Aktionäre herauszukaufen, wird also immer teurer. Kann sich die Unicredit eine Übernahme noch leisten?
Grundsätzlich sind feindliche Übernahmen, also solche, die nicht von Beginn an im Miteinander durchdacht werden, selten erfolgreich. Dazu kommt, dass sich unsere Bewertung im Vergleich zum September des letzten Jahres deutlich zu unseren Gunsten verbessert hat. Ein Angebot der Unicredit müsste also sehr überzeugend sein. Um das zu bewerten, müsste aber erstmal eins auf dem Tisch liegen.
Sie stemmen sich seit über einem Jahr erfolgreich gegen eine feindliche Übernahme. Was macht das mit Ihnen?
Bei unseren Mitarbeitenden, Partnern oder Kunden ist dieses Thema natürlich sehr präsent. Jede Neuigkeit, sei sie noch so klein, sorgt für Unruhe und bindet Ressourcen. Es ist aber nicht so, dass ich damit den ganzen Tag beschäftigt bin. Es ist ein wiederkehrendes Thema, neben einer Reihe anderer. Dazu haben wir ein Kernteam aufgesetzt, was sich mit den neusten Entwicklungen rund um den Fall beschäftigt. Die mangelnde Klarheit seitens der UniCredit über ihre weiteren Absichten ist natürlich nicht hilfreich.
Sie wirken sehr entschlossen, die Eigenständigkeit der Commerzbank zu verteidigen. Die Rückendeckung des Bundeskanzlers sowie des Finanzministers haben Sie ebenfalls. Wann gibt Herr Orcel denn auf?
Diese Frage müssen Sie ihm stellen. Die Positionen der Bundesregierung und des Bundes als einem unserer Aktionäre sind ihm sicherlich bekannt. Was die Unicredit mit ihren Anteilen macht, ist ausschließlich ihre eigene Entscheidung. Ich konzentriere mich darauf, was ich selbst beeinflussen kann, und das ist die Arbeit der Commerzbank. Darauf, sie für unsere Kundinnen und Kunden jeden Tag ein bisschen besser zu machen und Arbeitsplätze zu sichern.
Sprechen Sie zwei denn miteinander?
Absolut, die Unicredit ist ein wichtiger Aktionär von uns. Wir behandeln sie wie jeden anderen größeren Anteilseigner. Quartalsweise haben wir ganz klassisch Investorengespräche mit Unicredit. Daran nimmt auch Andrea Orcel hin und wieder teil. Die Gesprächsatmosphäre ist sehr professionell.
Und bilateral? Wenn die Fronten derart verhärtet sind, könnte ja ein Gespräch von CEO zu CEO helfen.
Sich rein informell zusammenzusetzen, kann man lediglich früh im Prozess machen. Da sind wir aber nicht mehr. Unicredit hat ihren Anteil an der Commerzbank stetig ausgebaut und offenbar eine Idee, was sie vorhat. Wir haben immer gesagt, dass wir einen Vorschlag im besten Interesse unserer Stakeholder prüfen würden, und natürlich würden wir uns Gesprächen mit der Unicredit nicht verschließen. Voraussetzung wäre allerdings ein schriftlicher Vorschlag, der eine substanzielle und belastbare Grundlage für Gespräche bietet. Der liegt uns nicht vor.
Sie arbeiten seit über zehn Jahren bei der Commerzbank. Davor waren Sie bei McKinsey, wo Sie ebenfalls vor allem Banken beraten haben. Was begeistert Sie so an der Finanzindustrie?
Für das Funktionieren der Gesellschaft und der Wirtschaft ist die Finanzindustrie elementar. Sie übernimmt wichtige Dienstleistungen für Firmen und die Bevölkerung, etwa indem sie neue Maschinen finanziert oder Menschen in der Altersvorsorge unterstützt. Die vielfältigen Produkte, mit denen wir für verschiedenste Anforderungen Lösungen anbieten, faszinieren mich. Ich bin sowieso ein Zahlenmensch.
Sie haben BWL studiert. War es schon damals Ihr Ziel, Bankerin zu werden?
Ich habe schon während meines Studiums viele Praktika bei Banken und anderen Finanzinstituten gemacht. Ich war zum Beispiel bei der Terminbörse MATIF in Paris, an der Preise für Weizen, Raps oder Mais abgesichert werden. Ich war aber auch zweimal bei BMW für ein Praktikum, ebenfalls in der Finanzabteilung. Ich hätte genauso gut dort anfangen können.
Inzwischen sind Sie Deutschlands wichtigste Bankerin. Welches Vorurteil über Ihre Branche würden Sie gerne ein für alle Mal aus dem Weg räumen?
Ich bin froh, dass Bankerinnen und Banker mittlerweile nicht mehr als Problem, sondern als Teil der Lösung angesehen werden. Das hat auch die Pandemie gezeigt. Trotz erheblicher Unsicherheiten haben Banken Liquidität bereitgestellt, Kredite vergeben und so die Realwirtschaft stabilisiert. Das ist ein großer Fortschritt in der Wahrnehmung unserer Funktion. Diese Rolle wird jetzt sogar noch wichtiger, denn wir stehen bereit, die von der Politik geplante Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschlands mitzufinanzieren.
Zuschreibungen wie Gier, Arroganz oder Machogehabe halten sich trotzdem weiter. Gibt es denn auch Klischees, die stimmen?
Das weiß ich nicht. Auf mich trifft jedenfalls nichts davon zu. Auf meine Kolleginnen und Kollegen in der Bank auch nicht. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, authentisch zu bleiben und nicht zu denken, alles allein stemmen zu können.
Sie sind die erste Frau an der Spitze einer deutschen Privatbank – bedeutet Ihnen das etwas?
Ich möchte ein Vorbild für andere Frauen sein. Sie sollen sehen, dass alles möglich ist. Dass auch sie das schaffen können. Dass man sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden muss. Ich habe selbst zwei Kinder. Das geht beides zusammen. Und zwar ohne extrem laut oder übermäßig selbstbewusst zu sein. Man kann es auch mit normalem Verhalten weit bringen.
Was ist denn für Sie normales Verhalten?
Authentisch sein und durch die Sache überzeugen. Ich sage immer: Man kann nur dann richtig gut sein im Job, wenn man Spaß hat an dem, was man tut.
Beim Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt vor einigen Wochen waren Sie die einzige Managerin unter dutzenden Managern. Was dachten Sie damals?
Ich war erstaunt, denn ich wusste ja, dass in dem Kreis der beteiligten Unternehmen auch andere weibliche CEOs sind. Aber sie konnten zu dem besagten Termin im Kanzleramt nicht kommen. Dass das Bild am Ende so kontroverse Reaktionen ausgelöst hat, fand ich schade. Denn es sollte an dem Tag um den Wirtschaftsstandort Deutschland gehen und die Tatsache, dass Firmen hier künftig wieder sehr viel Geld investieren wollen.
Sogar dem Kanzler ist das damals negativ aufgefallen. War es den Initiatoren einfach egal?
Wir haben unverändert einen absoluten Nachholbedarf beim Thema Diversität. Nicht nur was den Anteil von Frauen in Führungspositionen angeht. Wir müssen das Thema breiter fassen – es geht zum Beispiel auch um unterschiedliche Nationalitäten, um unterschiedliche Bildungskarrieren und Werdegänge. Es ist bereichernd, wenn verschiedene Blickwinkel zusammenkommen. Gerade wenn es an manch anderen Orten dieser Welt gerade nicht mehr so populär ist: Situationen wie die im Kanzleramt im Juli sehe ich als Ansporn weiterzumachen.