EZB – Was heißt schon datenabhängig?

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat auf der heutigen Pressekonferenz wie erwartet wieder einmal die Datenabhängigkeit künftiger Zinssentscheidungen betont.

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Dr. Jörg Krämer

Commerzbank Economic Research

18.07.2024

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Solange es die Inflationsdaten halbwegs hergeben, dürfte der von Tauben dominierte EZB-Rat seine Leitzinsen auf der nächsten Sitzung im September weiter senken. Weitere Zinsschritte sollten im Dezember und im März nächsten Jahres folgen. Der faktisch bereits eingeleitete Zinssenkungsprozess ist jedoch riskant, weil das Inflationsproblem noch nicht gelöst ist.

Lagarde betont Datenabhängigkeit künftiger Zinsentscheidungen, ...

Dass die EZB ihre Leitzinsen heute unverändert ließ, hatten alle erwartet. Klar war auch, dass die EZB in ihrem Kommuniqué und während der Pressekonferenz wieder betonen würde, dass ihre künftige Geldpolitik von den volkswirtschaftlichen Daten abhänge und dass sie sich vorab nicht auf einen bestimmten Pfad für die Leitzinsen festlegen würde. Das habe der EZB-Rat einstimmig beschlossen. Mit Blick auf die nächste Sitzung im September sei laut Präsidentin Christine Lagarde alles offen.

... womit sie aber auch die Falken besänftigen will

Aber solche Beteuerungen haben nicht viel zu bedeuten. Schließlich hatte die EZB erst Anfang Juni ihre Zinsen gesenkt, obwohl die Inflation im zweiten Quartal höher ausfiel als von ihr erwartet worden war. Die Juni-Zinssenkung war gerade nicht datenabhängig. Man sollte nicht allzuviel auf die angebliche Datenabhängigkeit der EZB-Zinsentscheidungen geben. Damit macht die konsensorientierte Christine Lagarde auch ein gewisses Zugeständnis an das kleine Lager der Falken, die auf Datenabhängigkeit pochen und die nicht gegen weitere Zinssenkungen stimmen sollen. Genau das hatten vier Falken bei der Juni-Sitzung Medienberichten zufolge erwogen.

Zinssenkung im September wahrscheinlich

Viel wichtiger sind die Aussagen der EZB, dass sie sich in ihrem mittelfristigen Inflationsausblick bestätigt sieht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wiederholte insbesondere die Aussage, dass die Löhne im kommenden Jahr nicht mehr so stark steigen dürften wie in diesem Jahr. All das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass die EZB ihre Leitzinsen auf der nächsten Sitzung im September senken wird, zumal sie dann ihre aktualisierten Inflations- und Konjunkturprognosen veröffentlicht, mit denen sie Zinsschritte immer gerne begründet. Solange es die Inflationsdaten halbwegs hergeben, dürfte ein von den Tauben dominierter EZB-Rat die Zinsen auf der nächsten Sitzung senken. Als Argument für eine Zinssenkung dürften die Tauben auch die August-Inflationszahl nutzen, die wegen eines Basiseffekts vermutlich unter 2% sinken wird, auch wenn die Kerninflation weiter bei knapp 3% liegen wird und das Inflationsproblem noch lange nicht gelöst ist.

Höhere Q4-Inflation bereits in EZB-Prognosen enthalten

Im vierten Quartal dürfte der nach wie vor ausgeprägte unterliegende Inflationsdruck wieder in der Gesamt-Inflationsrate sichtbar werden. Aber hier hat die EZB schon vorgebaut. Wie der Chart unten zeigt, erwarten ihre Volkswirte für das Jahresende wieder einen Anstieg der Inflationsrate. Wenn sie dann tatsächlich zulegt, kann die EZB darauf verweisen, dass die Inflation nicht über ihren Erwartungen liegt. Wir erwarten, dass die EZB ihre Leitzinsen im Dezember erneut um 25 Basispunkte senken wird. Nach einer weiteren Senkung im März nächsten Jahres rechnen wir anders als die Terminmärkte aber nicht mit weiteren Zinsschritten. Denn nach unserer Meinung dürfte sich die Inflation um die Jahreswende eher bei 3% als bei 2% einpendeln. Das dürfte auch eine taubenhafte EZB davon abhalten, die Zinsen weiter zu reduzieren.

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