„Ruhig bleiben, weitermachen“

Vorstandsvorsitzende Bettina Orlopp spricht im Interview mit der WamS über strategische Ziele, den Weg zur Eigenständigkeit und ihre Überzeugung, dass Führung Teamarbeit ist.

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Jan Dams und Cornelius Welp

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Welt am Sonntag

16.12.2025

Porträtfoto Bettina Orlopp vor einer Fensterfront desCommerzbank-Hochhauses
© Jörg Puchmüller
Die Commerzbank kämpft um die Eigenständigkeit und gegen den Übernahmeversuch der italienischen UniCredit. Bisher mit Erfolg: Die Gewinne steigen und die Politik steht hinter dem Institut. Doch die Kosten für den Abwehrkampf tragen auch Mitarbeiter und Kunden.

WELT AM SONNTAG: Frau Orlopp, die Übernahme der Commerzbank steht seit 15 Monaten im Raum. Warum verweigern Sie sich hartnäckig den Gesprächen mit Unicredit-Chef Andrea Orcel?
Bettina Orlopp: Das tun wir nicht. Mit einem Anteil von 26 Prozent ist Unicredit ein wichtiger Investor. Wie mit allen unseren Investoren sprechen wir regelmäßig mit ihm. Manchmal ist Herr Orcel bei diesen Gesprächen dabei, manchmal nicht.

WAMS: Es sind aber doch spezielle Gespräche.
Orlopp: Es sind ganz normale Investorengespräche. Wir sprechen über unsere Strategie und Entwicklung, über Erträge, Kosten und volkswirtschaftliche Trends. Wir dürfen Unicredit auch keine exklusiven Informationen geben, die Regeln sind eindeutig.

WAMS: Ihre Aktionäre würden sich sicher wünschen, dass der Schwebezustand endet.
Orlopp: Unsere Investoren schätzen es, dass wir strategisch sehr gut unterwegs sind und profitabel abliefern. Wenn irgendwann ein Angebot auf dem Tisch läge, würden sie wollen, dass wir es ergebnisoffen prüfen. Und das würden wir selbstverständlich tun. Aber wer durch eine Tür gehen will, muss den ersten Schritt machen. Das hat Unicredit bisher nicht getan.

WAMS: Solange das nicht passiert, herrscht Unruhe.
Orlopp: Das war zu Beginn sicher so, als es ständig neue Nachrichten gab und nicht klar war, was Unicredit wollte. Mittlerweile hat sich die Lage aber beruhigt. Unser Fokus liegt auf unserem operativen Geschäft.

WAMS: Wie können Sie sich darauf konzentrieren?
Orlopp: Wir agieren nach dem Motto „Keep calm and carry on“ – „ruhig bleiben und weitermachen“. Unsere Kundinnen und Kunden wollen, dass wir als Partner an ihrer Seite sind und uns erfolgreich weiterentwickeln. Intern kommunizieren wir viel – in Betriebsversammlungen, im direkten Austausch. Und die Kolleginnen und Kollegen sehen, dass wir wachsen und investieren wie selten zuvor.

WAMS: Der Belagerungszustand kann aber kaum von Dauer sein.
Orlopp: Unser Aktienkurs ist stark, wir erzielen hohe Gewinne, die Investoren vertrauen uns. Nachdem ich im vergangenen Oktober die Führung der Bank übernommen habe, haben wir in Rekordzeit eine neue Strategie entwickelt, die wir entschlossen umsetzen. Wir können aus einer Position der Stärke agieren, den aktuellen Zustand beenden können wir aber nicht. Der Ball liegt bei Unicredit.

WAMS: Deren Ziel scheint weiter eine Übernahme zu sein.
Orlopp: Eine Transaktion ist kein Selbstzweck, sie muss für Aktionäre, Kunden und Mitarbeitende Sinn ergeben und Wert schaffen. Das sehen wir auf dem aktuellen Bewertungsniveau nicht. Sie könnten allenfalls mit potenziell hohen Synergien argumentieren, aber die sind wegen Überlappungen im Geschäft und hohen Risiken bei der Umsetzung fragwürdig.

WAMS: Unicredit könnte sich kaum gesichtswahrend verabschieden.
Orlopp: Warum nicht? Das Engagement bei uns hat sich wegen der hohen Kursgewinne sehr gelohnt.

WAMS: Sobald bekannt wird, dass Unicredit aussteigen will, bricht Ihr Aktienkurs ein.
Orlopp: Unsere Daten zeigen, dass er anfänglich von Übernahmefantasien beeinflusst war. Mittlerweile basiert die Bewertung aber auf Ergebnissen und Zukunftsaussichten der Commerzbank. Und technisch könnte Unicredit genauso kursschonend gehen, wie sie gekommen ist.

WAMS: Mit dem aktuellen Anteil kann Unicredit Sitze im Aufsichtsrat beanspruchen und Beschlüsse auf der Hauptversammlung blockieren. Beunruhigt Sie das?
Orlopp: Wir gehen davon aus, dass alle Aktionäre am Wohl des Unternehmens interessiert sind und entsprechend agieren.

WAMS: Im internationalen Vergleich ist die Commerzbank klein, auf Dauer womöglich zu klein. Warum beharren Sie auf der Eigenständigkeit?
Orlopp: Grundsätzlich bin ich keine Gegnerin von Transaktionen, angesichts von Wettbewerbsdruck und Investitionsbedarf können diese innerhalb Europas sinnvoll sein. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, kann die Commerzbank sicher eine Rolle spielen. Dafür müssten wir die europäische Bankenunion aber zumindest in wesentlichen Punkten vollenden.

WAMS: Das Argument hören wir seit Jahren …
Orlopp: Aber es ist trotzdem richtig. Wir brauchen die passenden Rahmenbedingungen. Wenn wir Kapital- und Liquiditätsregeln harmonisieren und digitale Infrastrukturen vereinheitlichen, sind viele Zusammenschlüsse vorstellbar. Bisher haben wir aber nur eine gemeinsame Aufsicht und viele nationale Hürden.

WAMS: Sie wollen also alle Fusionsgespräche auf unbestimmte Zeit vertagen.
Orlopp: Wenn eine Idee wirklich im Raum steht, muss man sie analysieren und diskutieren. Erfolgreiche Fusionsgespräche erfordern Vertrauen und eine gemeinsame Grundlage. Nur so lassen sich Strukturen, Marktaufteilung und Risiken im Detail klären. Bei einer möglichen europäischen Kombination, deren größter Markt Deutschland wäre, muss man vorab genau prüfen, wie sie sich auf die hiesigen Unternehmen und insbesondere den Mittelstand auswirken würde.

WAMS: Gleich behaupten Sie vermutlich, dass die nicht wollen, dass im Ausland über ihre Kreditanträge entschieden wird.
Orlopp: Das ist eine Tatsache! Ich spreche immer wieder mit Kunden, die in Krisenzeiten keine guten Erfahrungen gemacht haben. Mit Unicredit gibt es zudem starke Überschneidungen im Kundenportfolio. Bei einer Fusion gingen möglicherweise erhebliche Erträge verloren.

WAMS: Mit Ihrer Strategie setzen Sie stark auf deutsche Unternehmen und eine deutlich wachsende Kreditnachfrage. Ist das angesichts der schwachen Konjunktur realistisch?
Orlopp: Europa steht vor massiven Investitionen – in die Energiewende, in Digitalisierung, in Infrastruktur. Das spüren wir bereits bei öffentlichen Auftraggebern, Versorgern und Unternehmen. Und auch viele Mittelständler wollen weiter investieren – oft allerdings im Ausland. Als Bank für den Mittelstand begleiten wir sie auf diesem Weg.

WAMS: Viele Firmen durchleben eine existenzielle Krise. Die Zahl der Kreditausfälle wird deshalb steigen.
Orlopp: Die Zahl der Insolvenzen steigt, wenn auch auf überschaubarem Niveau. Trotz drei Jahren Rezession stehen viele Mittelständler robust da. In einigen Branchen – etwa bei Autozulieferern, im Maschinenbau und in der Chemie – agieren wir bedachter. Wir kalkulieren weiterhin mit einer konservativen Risikovorsorge. Das gilt auch für private Immobilienkredite, bei denen wir wegen der immer noch niedrigen Arbeitslosigkeit aber kaum Ausfälle sehen.

WAMS: Mit Ihrem auf Deutschland zugeschnittenen Geschäftsmodell wollen Sie bis 2025 eine Eigenkapitalrendite von 15 Prozent erzielen, die breiter aufgestellte Deutsche Bank peilt 13 Prozent an. Ist das realistisch?
Orlopp: Ja, das ist es. Die Analysten waren zunächst skeptisch, aber inzwischen halten sie es mehrheitlich für erreichbar. Das zeigt sich an den Kurszielen, die sie deutlich nach oben angepasst haben. Unsere Wachstumsannahmen sind sicher ambitioniert, unsere makroökonomischen Kalkulationen sind aber sehr konservativ.

WAMS: Sie haben die Ziele vor allem deshalb hoch gesetzt, um den Aktienkurs schnell nach oben zu treiben und Unicredit abzuwehren.
Orlopp: Unsere Aktionäre würden unrealistische Ziele kaum akzeptieren. Die hinterfragen genau, was wir tun. Dass neue Vorstandsvorsitzende die Strategie überprüfen, ist ein ganz normaler Vorgang. Ohne den Einstieg von Unicredit hätten wir uns dafür vermutlich ein paar Wochen mehr Zeit genommen. Wir hatten dann eigentlich Ziele bis 2030 formuliert, aber als wir alle Daten zusammen hatten, war uns klar, dass sie schon 2028 erreichbar sind.

WAMS: Ihre Kunden dürften über die seit einigen Monaten erhobenen Kontogebühren wenig erfreut sein. Wie viele haben Sie verloren?
Orlopp: Bisher haben bereits rund zwei Drittel den neuen Konditionen zugestimmt. Das entspricht unseren Erwartungen. Natürlich haben uns auch einige verlassen. Dabei handelt es sich aber fast ausschließlich um Kunden, die wir über Werbeangebote gewonnen hatten und die das Konto kaum nutzen.

WAMS: Bei Ihrem aktuellen Personalabbau setzen Sie vor allem auf Vorruhestand. Wie passt das zu Forderungen nach einer längeren Lebensarbeitszeit?
Orlopp: Wir sind bereits durch viele Restrukturierungen gegangen, aber wenn ich mir unsere Alterspyramide ansehe, brauchen wir auch Raum für jüngere Jahrgänge. Viele, die jetzt Altersteilzeit- oder Vorruhestandsangebote nutzen, blicken bereits auf lange Erwerbsbiografien zurück und haben ihre Beitragsjahre zusammen.

WAMS: Die Debatte um die Renten hat gezeigt, wie schwer sich die Regierung mit Reformen tut. Wie verzweifelt sind Sie?
Orlopp: Ich bin dagegen, alles schwarz zu malen. Es passiert mehr, als man wahrnimmt: Eine Rentenreform zeichnet sich nun zumindest ab. Es gibt jetzt vernünftige Abschreibungsregeln, mit denen sich Investitionen lohnen. Die Steuern wurden etwas gesenkt. Und wir sehen Digitalisierungsinitiativen. Aber es muss natürlich schneller gehen. Außerdem ist die öffentliche Kommunikation ausbaufähig.

WAMS: Wie blicken Investoren, mit denen Sie reden, auf Deutschland?
Orlopp: Positiver als wir selbst. Das Interesse ist enorm. Was sie irritiert, ist politische Unruhe und fehlende Stabilität. Aber Deutschland bleibt essenziell für Europa.

WAMS: Sie sagen oft „wir“. Führen Sie anders als Ihre Vorgänger?
Orlopp: Als ehemalige Unternehmensberaterin komme ich aus einer Teamkultur. Für mich zählen Offenheit, Klarheit, ehrliches Feedback, gemeinsames Entscheiden. Ich halte niemanden – mich eingeschlossen – für unersetzlich. Und ich erwarte, dass wir Probleme offen adressieren. Führung heißt nicht, alles allein zu entscheiden, sondern Entscheidungen zu ermöglichen.