Institute erwarten Kredit-Boom durch das Infrastrukturpaket
Die geplanten Milliardeninvestitionen dürften auch die Kreditnachfrage ankurbeln. Banken hoffen auf mehr Geschäft. Doch es gibt Warnungen vor verfrühter Euphorie.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Handelsblatts
18.08.2025
Besser könnte das Timing aus Sicht der Commerzbank kaum sein: Zu Beginn des Jahres kündigte Deutschlands zweitgrößte Privatbank an, das Kreditvolumen im Firmenkundengeschäft deutlich steigern zu wollen, von 104 Milliarden Euro Ende 2024 auf 140 Milliarden Euro im Jahr 2028. Das entspräche einem Plus von fast 35 Prozent. Wachstum, das der Bank im Übernahmekampf mit Unicredit helfen würde.
Noch im Januar erschien dieser Plan Beobachtern und Analysten schwer realisierbar. Nur ein halbes Jahr später hat sich die Stimmung gedreht: weil die Commerzbank das Kreditvolumen im ersten Halbjahr deutlich um mehr als acht Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert hat. Und weil die Bank hofft, vom 500 Milliarden Euro schweren Infrastrukturpaket zu profitieren, das die Bundesregierung im Juni auf den Weg brachte.
Damit ist sie nicht allein. Auch andere Geldhäuser rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Kreditnachfrage im Firmenkundengeschäft, wie eine Umfrage des Handelsblatts unter den führenden Instituten ergeben hat.
Mladen Levanic, Leiter Infrastruktur und Energie bei der Commerzbank, verweist auf die rund 300 Milliarden Euro, die allein für Investitionen in die Transport- und Bahninfrastruktur auf der Bundesebene vorgesehen sind. "Für uns als Bank ist das spannend, da diese Investition für zusätzliche Aufträge entlang der verschiedenen Wertschöpfungsstufen im Bausektor führen dürften."
Baufirmen könnten ihrerseits in den Ausbau von Kapazitäten investieren: "Wir rechnen dadurch mit einer höheren Nachfrage nach Krediten, etwa für die Erweiterung von Werksgeländen oder Betriebsmittel", sagte Levanic. Mit Blick auf die angepeilten 140 Milliarden Euro Firmenkredite sagt er: "Das Wachstum der Kreditnachfrage durch das Infrastrukturpaket ist dabei miteingerechnet."
Ulrich Reuter, Chef des Sparkassen- und Giroverbands DSGV, beobachtet insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen ein erhöhtes Interesse: "Die Sparkassen stellen aktuell eine anziehende Investitionsbereitschaft des Mittelstands fest, die sich in einer steigenden Kreditnachfrage bei unseren Instituten niederschlägt."
Hintergrund sei auch die Aussicht auf Infrastrukturinvestitionen, die zum Großteil kleine und mittelgroße Unternehmen umsetzen. "In den vergangenen drei Jahren haben sich viele Unternehmen mit Investitionen zurückgehalten. Mittlerweile scheint sich die Stimmung aufzuhellen", beobachtet Reuter.
Auch Christian Sewing zeigte sich mit Blick auf das Infrastrukturpaket Ende Juli optimistisch. "Das wird unser Geschäft ankurbeln", sagte der Deutsche-Bank-Chef bei der Präsentation der Halbjahreszahlen.
Positiv wirke sich zudem die angekündigte Investitionsoffensive der deutschen Wirtschaft aus, ergänzt Eddy Henning, Firmenkundenvorstand der ING Deutschland. In der Initiative "Made for Germany" schlossen sich mehr als 60 Unternehmen zusammen und kündigten gemeinsam dreistellige Investitionen in den Standort an.
"Wir als Bank hoffen, dadurch mehr Aktivität und Volumina gerade im Hinblick auf die Kreditvergabe im Firmenkundengeschäft generieren zu können", sagt ING-Manager Henning. Es würden bereits spürbar mehr Infrastrukturprojekte in Deutschland umgesetzt. "Aufträge sind zahlreich vorhanden", sagt er. "Ich gehe davon aus, dass wir die Auswirkungen in den Büchern allerdings erst wirklich in der zweiten Jahreshälfte des kommenden Jahres geschäftswirksam sehen werden."
Die Banken können aus gleich zwei Gründen darauf hoffen, dass das Infrastrukturpaket die Kreditnachfrage belebt und damit das Geschäft stützt. Einerseits haben die Investitionen das Potenzial, die deutsche Konjunktur anzukurbeln. So rechnet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer für 2026 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,4 Prozent. Grund sei, dass die Bundesregierung in großem Umfang Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen verschieben könne, die frei gewordenen Mittel rasch ausgebe "und die Konjunktur so anfacht".
Andererseits soll das Infrastrukturpaket Investitionen privater Geldgeber anschieben, die ihrerseits auf viel Fremdkapital angewiesen sind. Ein Beispiel ist der Ausbau lokaler Stromnetze, der hauptsächlich von Stadtwerken und kommunalen Energieversorgern gestemmt werden muss. Eine Studie der Denkfabrik Ef.Ruhr und dem Energiewirtschaftlichen Institut der Uni Köln schätzt den für die Energiewende nötigen Investitionsbedarf allein in diese Verteilernetze auf über 400 Milliarden Euro bis 2045.
Noch sei unklar, woher Städte und Gemeinden das Kapital nehmen sollen, um diese Summen zu stemmen, sagt Commerzbank-Experte Levanic. "Eine Herausforderung besteht darin, die kommunalen Netzbetreiber wie Stadtwerke mit zusätzlichem Eigenkapital auszustatten." Dafür würden aktuell Lösungen gesucht. "Wenn das gelingt, dürfte auch die Kreditnachfrage in dem Bereich weiter zunehmen", sagt Levanic. Denn: Das stark regulierte Geschäft werde "typischerweise zu 40 Prozent mit Eigenkapital und zu 60 Prozent mit Fremdkapital finanziert".
Beate Siewert, Direktorin für das Fördergeschäft beim Verband Öffentlicher Banken (VÖB), bestätigt: "Viele Stadtwerke sind hochverschuldet und bräuchten mehr Eigenkapital, um als kreditfähig zu gelten." Der VÖB arbeite an einer Lösung: "Die Förderbanken denken über Mezzanine-Angebote für Stadtwerke nach." Solche nachrangigen Finanzierungsformen könnten helfen, die Finanzpolster der Stadtwerke zu stärken.
Vorbildcharakter habe auch eine Lösung aus dem Sparkassenlager, ergänzt DSGV-Präsident Reuter. "Die SV Versicherung und die Sparkassen in Baden-Württemberg waren im Bereich Energieinfrastruktur Vorreiter." 2023 beteiligte sich das Konsortium am Stromnetzbetreiber TransnetBW. Über Sparkassenbriefe können auch Kleinanleger an diesem Investment partizipieren, fügt Reuter hinzu.
Commerzbank-Experte Levanic beobachtet jedoch nicht nur eine wachsende Nachfrage nach klassischen Firmenkrediten. Auch andere Fremdkapitalprodukte würden verstärkt von kleineren und mittelgroßen Unternehmen nachgefragt. Dazu gehörten etwa Garantien für Anzahlungen oder Leasing von Maschinen. "In der Beratung von unseren Firmenkunden spielen diese Produkte ebenfalls eine wichtige Rolle", unterstreicht Levanic.
Sein Geldhaus habe dabei einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. "Ausländische Banken ohne flächendeckende Präsenz in Deutschland tun sich schwer im Geschäft mit Regionalversorgern, Stadtwerken oder in der Kreditvergabe im Mittelstand." Er fügt hinzu: "Als Commerzbank haben wir den Vorteil, dass wir die lokalen öffentlichen und privaten Unternehmen kennen und teils seit Jahrzehnten mit ihnen zusammenarbeiten."
ING-Deutschland-Manager Henning hält dagegen. "Auch wir als Tochter einer Auslandsbank werden unseren Beitrag leisten." Er unterstreicht: "Für die Umsetzung von Großprojekten braucht es Banken."
Davon ist auch Deutsche-Bank-Chef Sewing überzeugt. Das von ihm geführte Institut stellt sich nicht nur in der Firmenkundensparte, sondern auch im Investmentbanking auf mehr Geschäft im Bereich Rüstung und Infrastruktur ein. Dazu habe das Institut "zusätzliches Kapital bereitgestellt und die Ressourcen für diese Gruppe aufgestockt", sagte Sewing.
Banker, Investoren und Ökonomen mahnen jedoch unisono strukturelle Reformen an, um Projekte schnell starten zu können und Deutschland für Investoren so attraktiv zu machen, dass sie bereit sind, Eigenkapital für Infrastruktur bereitzustellen. "Nun ist es an der Politik, Parameter zu erfüllen, damit hierzulande mehr investiert wird", sagt etwa ING-Banker Henning. "Wenn jetzt die richtigen Anreize gesetzt werden, können wir ein Vielfaches der 500 Milliarden Euro umsetzen."
Manche bleiben skeptisch, dass das gelingt. So sagt Andras Kranicz, Leiter des europäischen Infrastrukturgeschäfts von BNP Paribas: "Deutschland verkündet ambitionierte Investitionssummen für Infrastrukturprojekte - doch ohne passenden regulatorischen Rahmen bleibt privates Kapital außen vor."
Auch Carsten Brzeski, Chefökonom bei der ING, warnt vor zu hohen Erwartungen. Er sieht positive Signale: "Die konjunkturelle Talsohle ist durchschritten, und der Optimismus kehrt zurück." Ob zu Recht oder nicht, werde sich erst in einigen Monaten herausstellen.