Deutschland – Warten auf die Wende
Wegen der erodierten Standortqualität ist unsere Konjunkturprognose für Deutschland seit langem niedriger als die der meisten Volkswirte.
Commerzank Economic Research
20.09.2024
Anhaltende Schwäche der deutschen Wirtschaft ...
In den vergangenen Wochen gab es wieder eine Reihe schlechter Nachrichten von der deutschen Wirtschaft. Im zweiten Quartal ist sie leicht geschrumpft, der Start in das dritte Quartal fiel mit einem Minus von 2,4% bei der Industrieproduktion sehr schwach aus, und der erneute Rückgang der Stimmungsindikatoren macht wenig Hoffnung, dass die Zahlen schnell deutlich besser ausfallen werden.
... rückt strukturelle Probleme in den Mittelpunkt, ...
Damit wird die Wirtschaftsleistung Deutschlands wohl auch im zweiten Halbjahr nicht höher sein als vor der Pandemie. Angesichts dieser seit fünf Jahren andauernden Stagnation – wenn man von dem zwischenzeitlichen durch die Corona-Pandemie verursachten Einbruch absieht – gewinnt die Überzeugung immer mehr Anhänger, dass diese schwache Entwicklung strukturelle Ursachen hat. Tatsächlich zeigen Studien, dass der Standort Deutschland in den vergangenen Jahren im Verhältnis zu anderen Ländern immer weiter an Attraktivität verloren hat. (für eine Studie siehe hier )
... die auch kaum schnell überwunden werden dürften
Als Antwort auf die Diskussion um die Probleme des Standorts Deutschland hat die Bundesregierung eine "Wachstumsinitiative" gestartet. Viele der dort aufgelisteten 49 Punkte weisen sicherlich in die richtige Richtung. Allerdings ist unsicher, ob sie tatsächlich alle umgesetzt werden, und es lässt sich aus heutiger Sicht kaum sagen, ob sie das Wachstum spürbar anschieben werden. Zudem zeigt die Erfahrung, dass solche eher strukturellen Maßnahmen erst mit zeitlicher Verzögerung ihre Wirkung entfalten. Damit spricht vieles dafür, dass diese Maßnahmen der Wirtschaft zumindest in diesem Jahr und auch über weite Strecken des kommenden Jahres kaum nennenswerte Impulse geben dürften, von dieser Seite eine Wende zum Besseren also nicht ausgelöst werden dürfte.
Aber: Belastung durch Geldpolitik lässt nach, ...
Allerdings ist die lang anhaltende Schwäche der deutschen Wirtschaft nicht nur auf diese strukturellen Faktoren zurückzuführen, sondern auch auf andere Belastungen. Als Erstes ist hier die Geldpolitik zu nennen, die 2022 und 2023 im Euroraum und allen anderen westlichen Industrieländern massiv gestrafft wurde. Eine Studie der EZB zeigt zudem, dass der Effekt der Geldpolitik auf die kapitalintensive Industrie deutlich größer ist als auf die Dienstleistungen, sodass die deutsche Wirtschaft angesichts des recht hohen Anteils der Industrie an ihrer Wertschöpfung stärker unter den Zinserhöhungen gelitten haben dürfte als die meisten anderen Volkswirtschaften des Euroraums. Zudem ist die deutsche Industrie besonders stark im Bereich der Investitionsgüter positioniert, wo die Nachfrage im In- und Ausland besonders stark unter den ungünstigeren Finanzierungsbedingungen gelitten hat.
Nach und nach dürfte der Gegenwind von der Geldpolitik allerdings abnehmen. Denn die Zinserhöhungen liegen zum allergrößten Teil mehr als ein Jahr zurück, sodass sich die Wirtschaft zunehmend an das höhere Zinsniveau angepasst haben dürfte. Außerdem hat die EZB ihre Leitzinsen schon zwei Mal reduziert, und der Markt preist weitere Zinssenkungen ein. Damit dürfte die Belastung durch die zurückliegenden Zinserhöungen im kommenden Jahr nachlassen, auch wenn sich die Produktion im zinssensitiven Hochbau noch nicht vollständig an das deutlich niedrigere Niveau der Auftragseingänge angepasst hat.
... wie auch die durch höhere Energiepreise
Mit den Energiepreisen dürfte auch ein anderer Belastungsfaktor für die Konjunktur an Bedeutung verlieren. Ihr explosionsartiger Anstieg in den Jahren 2021 und 2022 hat ohne Frage maßgeblich dazu beigetragen, dass die Produktion in den energieintensiven Sektoren der Industrie zuletzt deutlich niedriger war als im Sommer 2022 (Chart 1). Trotz des Rückgangs in den vergangenen beiden Jahren sind die Energiekosten zwar immer noch deutlich höher als vor der Pandemie, was die Attraktivität des Standorts Deutschland gerade gegenüber der USA und China sicherlich verringert hat und auf lange Sicht zu einer Verlagerung von Produktionskapazitäten führen dürfte. Für die kurzfristige Entwicklung – also den Rest dieses Jahres und im kommenden Jahr – dürfte aber wichtiger sein, dass durch den Rückgang der Energiekosten die Herstellung mancher Produkte in Deutschland wieder rentabel ist, weshalb die Produktion in diesen Sektoren zuletzt wieder etwas zugelegt hat.
Den vollständigen Text finden Sie im PDF-Dokument.