Was traut sich die EZB?

Die EZB wird am kommenden Donnerstag ihre Leitzinsen senken.

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Dr. Marco Wagner

Commerzbank Economic Research

31. Mai 2024

Danach rechnen wir mit quartalsweisen Zinsschritten um je 25 Basispunkte, bis im Frühjahr 2025 ein Einlagensatz von 3% erreicht ist. Die sich aufhellende Konjunktur und eine wegen weiter kräftig steigender Löhne hartnäckig über ihrem Ziel liegende Kerninflationsrate dürften es der EZB schwer machen, die Zinsen weiter zu senken.

Juni-Zinssenkung ist gesetzt

Die Zeit sei reif für eine erste Zinssenkung am kommenden Donnerstag, sagen fast alle EZB-Ratsmitglieder – selbst diejenigen aus dem Falken-Lager. Da stört es nicht, dass die Tariflöhne im Euroraum im ersten Quartal wieder etwas kräftiger gestiegen sind (4,7%, nach 4,3% im vierten Quartal 2023). Vielmehr würden die experimentellen Lohnindikatoren der EZB (Wage Tracker) auf einen abnehmenden Lohndruck hindeuten. Die Notenbanker sehen sich in ihren Projektionen einer nachlassenden Inflation bestätigt. Die EZB-Experten dürften am Donnerstag lediglich für 2024 eine etwas höhere Prognose für die Kerninflation veröffentlichen, weil die Daten zu Beginn des Jahres leicht höher als erwartet ausgefallen waren. Aus dem gleichen Grund dürften sie für 2024 etwas mehr Wachstum prognostizieren. Die Projektionen für die Jahre 2025/26 dürften unverändert bleiben.

Vom Umfang her werden die Notenbanker ihre Leitzinsen in der nächsten Woche wohl um 25 Basispunkte senken. Selbst geldpolitische Tauben wie EZB-Vize-Präsident de Guindos erwarten einen "vorsichtigen Ansatz, der für eine Zinssenkung um 25 Basispunkte sprechen würde." Außerdem entspricht dies den Markterwartungen und Experten-Prognosen, und die EZB dürfte wohl kaum mit einer deutlicheren Zinssenkung überraschen wollen.

Eine Orientierung für den folgenden Zinspfad werden die Notenbanker nächste Woche kaum geben. Vielmehr dürfte die EZB wie bisher erklären, dass die Zinsentscheidungen "auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen [wird], und wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest."

Keine Zinssenkung im Juli ...

Sicherlich besteht zurzeit das Risiko, dass die zahlenmäßig überlegenen Tauben im EZB-Rat die Gunst der Stunde nutzen und im Juli auf eine zweite Zinssenkung drängen. Sollten die Inflationszahlen im Mai und Juni niedrig ausfallen, wäre das nicht ausgeschlossen. Die Tauben könnten argumentieren, dass trotz einer ersten Zinssenkung im Juni die Realzinsen angesichts der im Trend fallenden Inflationsrate kaum zurückgehen und daher die Geldpolitik restriktiv bleibt. Allerdings haben sich mittlerweile einige Ratsmitglieder wie der Este Madis Müller explizit gegen eine schnelle weitere Zinssenkung im Juli ausgesprochen; weitere Ratsmitglieder – selbst aus dem Taubenlager wie der Spanier Pablo Hernández de Cos – sprachen davon, nach dem Juni-Schritt mit Vorsicht vorzugehen. Daher rechnen wir nach wie vor nicht mit einer Zinssenkung im Juli.