Neuer Commerzbank-Branchenreport Chemie

Deutsche Spezialchemie mit sichtbarem Zuwachs im Jahr 2016

08.02.2016

  • Steigender Bedarf nach höherwertigen Spezialchemikalien; gesamter Produktionszuwachs 2016 um rund 3 Prozent
  • Hohe Innovationskraft durch Kooperationen mit Forschung und industriellen Partnern; zunehmende Entwicklung umweltfreundlicher Chemikalien und Verfahren
  • Grundstoffchemie: Kostennachteile gegenüber anderen Regionen gehen zurück, leichte Erholung auf +0,5 Prozent, steigende Nutzung alternativer Ressourcen

Die Spezialchemie wird 2016 in Deutschland durch einen Produktionszuwachs von knapp 3 Prozent weiter an Bedeutung gewinnen. Mittelständische Anbieter von Spezialchemikalien – insbesondere Industriechemikalien – können ihre Innovationskraft unter Einbezug externen Know-hows weiter ausbauen. Dabei profitieren sie vom hohen Niveau heimischer Forschungseinrichtungen, kompetenten industriellen Partnern sowie einem anspruchsvollen breiten Abnehmerkreis, etwa aus der Kunststoffverarbeitung oder der Automobilindustrie. „Die mit industriellem Wachstum einhergehende Zunahme der Kaufkraft in den Schwellenländern und der technologische Fortschritt schaffen zusätzliche Nachfrage nach höherwertigen Chemieprodukten. Mit dem Einsatz innovativer Technologien bei Produkten und Prozessen – etwa Nano- und Biotechnologie – sowie der zunehmenden Entwicklung umweltfreundlicher Chemikalien und Verfahren entwickelt sich die Spezialchemie derzeit sehr erfreulich“, so Günter Tallner, Bereichsvorstand der Commerzbank AG.

Die mehrheitlich größeren Unternehmen der Sparte Grundstoffchemie sind durch den Ölpreisrückgang wieder wettbewerbsfähiger. Nach zuletzt mageren Jahren mit teils hohen Kapazitäts- und Produktionsrückgängen wird für 2016 wieder ein leichter Produktionszuwachs von 0,5 Prozent prognostiziert. Förderlich für die Rentabilität sind zudem Synergien und Produktivitätsvorteile bei in Verbundstrukturen eingebetteten Anlagen. Die Verwendung alternativer Ressourcen wie Erdgas oder nachwachsender Rohstoffe nimmt zu. Da sich die bedeutenden Wachstumszentren der Chemieindustrie von den Industriestaaten in Richtung Schwellenländer oder Regionen mit niedrigen Rohstoff- und Energiekosten bewegen, sehen sich die Unternehmen der Grundstoffchemie zunehmenden Kapazitäten im Nahen Osten sowie den USA ausgesetzt. Für sie wirken sich die höheren Rohstoff- und Energiekosten in Deutschland im Vergleich zur außereuropäischen Konkurrenz nachteilig aus.

„Chemie ist ein weltweiter Wachstumsmarkt. Eine nachhaltige Entwicklung der globalen Gesellschaft ist auf mehr Chemieprodukte angewiesen. Die deutsche Branche kann mit hochwertigen Lösungen für anspruchsvolle Kunden im Inland und allen Auslandsmärkten punkten. Sie wird am Standort Deutschland dadurch auch künftig weiter wachsen – in einem Verbund von Pharma mit der Basis- und Spezialchemie“, betonte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Utz Tillmann. Zu den Erfolgsfaktoren der Branche zählen aus Sicht des VCI die zentrale Rolle im Netzwerk der Industrie, hohe Innovationskraft, starker Mittelstand, besonders effiziente Produktionsanlagen sowie eine zunehmende Ausrichtung der Produktstrategie der Unternehmen auf Megatrends und Nachhaltigkeit. Die Nachteile bei den Energiekosten seien zu einem nicht unerheblichen Teil hausgemacht. Damit Deutschlands drittgrößte Branche in der Erfolgsspur bleiben könne, brauche es bessere energiepolitische Rahmenbedingungen, so Tillmann: „Die Energiepolitik ist eine Achillesferse für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Häufig wechselnde gesetzliche Vorgaben und unzählige staatliche Eingriffe in den Energiemarkt erzeugen hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen – und damit Zurückhaltung bei Investitionen. Gleichzeitig drohen die Kosten für die Energiewende aus dem Ruder zu laufen. Wir brauchen eine grundsätzliche Reform des EEG, die den Zielkonflikt zwischen Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und Kostenentwicklung auflöst. Nur dann bleibt die Ener­giewende auf Dauer für die Wirtschaft bezahlbar.“

Die zunehmende Digitalisierung birgt für die Chemieindustrie Herausforderungen und Chancen. In den prozessgetriebenen Sparten stehen dabei die Vernetzung von Prozessschritten und Produktionsstandorten im Vordergrund. Die Einbeziehung von Kundendaten in den Digitalisierungsprozess setzt einen ausreichenden Schutz bei Datenhaltung und -übertragung voraus, den gegenwärtig viele Chemieanbieter noch nicht ausreichend gewährleistet sehen.

In der chemischen Industrie sind in Deutschland etwa 325.000 Menschen tätig, das sind 5,3 Prozent der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe. Mit einem im Jahr 2015 voraussichtlich erzielten Umsatz von 137 Mrd. Euro zählt die Chemische Industrie – ohne Pharma – in Deutschland zu den bedeutendsten Industriebranchen. Sie ist heterogen aufgestellt: Die Grundstoffchemie ist weitgehend konzentriert. Betriebe ab 50 Mio. Euro Umsatz, die 10 Prozent der insgesamt eher wenigen Unternehmen der Sparte ausmachen, erzielen über 90 Prozent der Umsätze. Die Spezialchemie ist hingegen wesentlich stärker von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. So haben etwa im Bereich Agrochemie (Pflanzenschutz, Schädlingsbekämpfung) die Unternehmen in der Umsatzklasse größer als 50 Mio. Euro Umsatz einen Anteil an der Unternehmenszahl der Branche von nur knapp 3 Prozent, bei einem Anteil am Gesamtumsatz von lediglich 42 Prozent.

Auch in Bezug auf die internationale Ausrichtung der heterogen aufgestellten Unternehmen bestehen zwischen den Subbranchen erhebliche Unterschiede. Während die Sparten Kosmetika, Wasch- und Pflegemittel sowie Lacke und Farben mit einem Auslandsumsatzanteil von jeweils 40 Prozent stärker auf das Inland fokussiert sind, fällt die Außenhandelsorientierung in der Sparte Chemische Grundstoffe mit 64 Prozent deutlich höher aus.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie im Interview mit einem der beiden Autoren des Branchenreports, Dr. Olaf Labitzke, im Commerzbank-Blog.

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