Sie ist eine Bank
Im Porträt spricht Bettina Orlopp über ihren Werdegang, ihren Führungsstil und wie sie die Bank durch die aktuelle Situation steuert.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Capital / WELT DER WIRTSCHAFT
02.07.2025
Wenn ihr mit der Kamera ganz nahe kommt, die Fotografin wenige Zentimeter vom Gesicht entfernt auf den Auslöser klickt, ruft sie zu ihren Begleitern: "Ist das nicht etwas zu dicht dran?"
Ja, wahrscheinlich schon. Aber Bettina Orlopp lässt es geschehen. Fotos vor dem Fenster, am Tisch, im Stehen, im Sitzen, auf dem Sprung. Spot on - das ist jetzt ihr Leben. Sie ist die Frau, die die Commerzbank retten muss, retten will.
Vor neun Monaten hat sich Orlopp in eines der spannendsten Abenteuer gestürzt, dass die deutsche Wirtschaft zu bieten hat. Die italienische Großbank Unicredit hatte sich angeschlichen und eine spektakuläre Übernahmeattacke auf die Commerzbank gestartet, quasi über Nacht war auch noch der Chef abgetreten. Alle waren überrumpelt, die Bankspitze, die 42 000 Mitarbeiter, vor allem aber: die Bundesregierung in Berlin, größter Anteilseigner. Die Einzige, die an jenem Morgen da war und nicht wackelte, war: Orlopp.
Seither führt die 55-Jährige den Abwehrkampf gegen die Unicredit, will die Eigenständigkeit der zweitgrößten deutschen Privatbank bewahren. Dafür hält sie ihr Gesicht hin - das sieht freundlich aus, auch von ganz dicht dran. Ruhig, bodenständig, nett - so wird sie beschrieben. So tritt sie gegen Andrea Orcel an, den Unicredit-Chef: einen knallharten Dealmaker, weltgewandt, arrogant, aalglatt. Orcel gegen Orlopp - gut gegen böse, der Ungestüme gegen die Ruhige. Der würde sie wegpusten, so sah das für viele anfangs aus.
Diese Gegensätze passen perfekt zu einer Übernahmeschlacht, so lässt sich die Geschichte gut vermitteln gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Aktionären und Politikern. Aber was davon stimmt wirklich?
Orlopp kommt an diesem Juniabend gerade von einem Investorengespräch in Paris, hat am Tag zuvor nicht mal ihren Geburtstag gefeiert. Sie führt durch die obersten Etagen des Commerzbank-Towers in Frankfurt von den Konferenzräumen im 49. Stockwerk über eine Treppe eine Etage tiefer in den Vorstandsbereich. Jeden Winkel kennt sie hier. Seit neun Jahren ist sie hier, seit fünf Jahren im Vorstand. Als sie im September befördert wurde, war es für sie nur ein Umzug über den Flur.
Ihr Teppich passt zur Lage
Dort sitzt sie nun an einem gläsernen Besprechungstisch in einer etwas tristen Umgebung. Grauer Teppich, schwarze Regale, eine Pflanze, die mehr Trost braucht als sie spendet - hier lenkt wirklich gar nichts ab. "Die letzten Monate waren durchaus eine besondere Situation", sagt sie. Ein halbes Jahr lang sei sie Konzernchefin und Finanzchefin gleichzeitig gewesen, in dieser Zeit hat sie die Verteidigungsstrategie für ihr Unternehmen ausgearbeitet. Wie schafft man das?
"Mit 30 Jahren Erfahrung im Job bekommt man schon eine Gelassenheit", sagt Orlopp. "Wenn man manchmal freitags denkt, die Welt geht unter, dann weiß man, dass sie am Montag doch noch da sein wird." Deshalb werde sie sich auch die Zeit nehmen, um ihren Geburtstag nachzufeiern, im kleinen Kreis mit Familie und Freunden. Sie erzählt von ihren beiden Kindern, die im Ausland studieren, aber noch regelmäßig nach Hause kommen. Sie habe auch noch Zeit für Hobbys, erzählt sie, bloß zum Golfen komme sie nur noch selten. Dafür zocke sie gerne eine Runde Karten - Skat und Doppelkopf. Orlopp, die Normale.
So normal wirkt sie, dass viele ihr den Abwehrkampf gegen Orcel anfangs nicht zutrauten. Der Mann, den sie in der Branche ehrfürchtig den "Ronaldo des Bankings" nennen. Der vor über einem Vierteljahrhundert als Berater bei der US-Investmentbank Merrill Lynch die Fusion von Unicredito und Credito Italiano durchzog und so die Unicredit-Gruppe schuf. Der den Kauf der deutschen Hypovereinsbank einfädelte, ebenso wie die mit 71 Mrd. Euro sündhaft teure Übernahme der niederländischen ABN Amro durch die Royal Bank of Scotland.
Deals, über die die Branche auch Jahre später noch spricht, hat Orlopp nicht vorzuweisen, dagegen viele Jahre in der harten Beraterbranche. "Mit meinen 19 Jahren Erfahrung als Beraterin und McKinsey-Partnerin kann ich gut mit unterschiedlichen Managertypen umgehen", sagt sie und fügt gleich hinzu: "Dafür muss ich mir deren Stil nicht zu eigen machen. Im Gegenteil, da bleibe ich ganz bei mir."
Und dann zählt sie alles auf, so als wollte sie ihr ganzes Waffenarsenal zeigen: Sie habe Strategien entwickelt, sie sei fünf Jahre lang Finanzvorstand gewesen und kenne ihr Zahlenwerk, ihre Anteilseigner und beherrsche die Investorenpflege. Außerdem habe sie promoviert über Abfindungen von Minderheitsaktionären - das kann man schon als kleine Gemeinheit verstehen. Und sie habe den Vorteil, dass sie ein Team um sich herum habe, dass sie sich ganz bewusst gewählt habe. "Ich bringe alles mit, was jetzt nötig ist an Know-how und Erfahrung."
Tatsächlich hat Orlopp eine lupenreine BWL-Karriere hingelegt: Nach dem Studium durchläuft sie die Kaderschmiede bei McKinsey, promoviert und steigt als eine der ersten Frauen zur Partnerin auf. Nach knapp 20 Jahren wechselt sie 2014 zur Commerzbank - der damalige Vorstandschef Martin Blessing, einst ebenfalls bei McKinsey, wirbt sie ab. Sie wird Strategiechefin, drei Jahre später wird sie Finanzchefin im Konzernvorstand. Spätestens ab jetzt steht sie parat für den CEO-Posten. Doch zwei Mal ziehen andere vorbei: 2016 Martin Zielke, 2021 Manfred Knof, der von der Deutschen Bank geholt wird.
Ihre Chance kommt erst im Herbst 2024, als die Commerzbank innerhalb weniger Stunden in ein Machtvakuum stürzt. Am Dienstag, den 10. September, gibt die Commerzbank um 18 Uhr bekannt, dass Knof seinen bis Ende 2025 laufenden Vertrag nicht verlängern werde. Die Gründe bleiben unklar, der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig. Denn eine halbe Stunde zuvor hat die Bundesregierung den Verkauf eines großen Pakets ihrer Commerzbank-Aktien eingeleitet. Der Ankeraktionär, der in der Finanzkrise 2008 mit 18,2 Mrd. Euro bei der Bank eingestiegen war, will sich von 4,49 Prozent seiner Anteile trennen und spült an diesem Abend 53 Millionen Aktien an die Meistbietenden in den Markt.
Der Schock am nächsten Morgen sitzt tief - zumal die Italiener nicht nur die Anteile des Bundes gekauft haben, sondern zudem weitere 4,5 Prozent am freien Markt. Seither läuft die Schlacht.
Kurz duschen, dann ins Büro
"Das hat eine mächtige Welle intern und extern ausgelöst", sagt Orlopp. Sie war damals auf dem Rückweg von einer Investorenkonferenz in New York, als sie die Nachrichten auf dem Handy erhielt. Zurück in Frankfurt sei sie kurz nach Hause, habe geduscht, sich umgezogen und das Team zusammengetrommelt, erinnert sich Orlopp. Eine halbe Stunde später saßen sie wieder im 49. Stock der Commerzbank-Zentrale.
Während der Abwehrplan gegen die Unicredit anläuft, überlegt der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Jens Weidmann, wer die Nachfolge von Knof übernehmen könnte. Ein Banker, der im Frankfurter Finanzmarkt genauso gut verdrahtet ist wie im politischen Berlin, sagt über Orlopp: "Von ihr wusste man schon früh, dass sie mal CEO wird." Alle Aufgaben, die man ihr bei der Commerzbank übertragen habe, habe sie immer besonders gut erledigt, "Sie war die, die sich immer besonders ins Zeug legte, die besonders schnell besonders gute Ergebnisse ablieferte".
Doch ist sie auch die Richtige, um in die Übernahmeschlacht gegen eine internationale Großbank wie die Unicredit zu ziehen? "Für so einen Abwehrkampf setzt man zwar idealerweise jemanden auf den Chefposten, der so eine Abwehrschlacht schon einmal geführt hat oder vergleichbare Übernahmen oder Transaktionen im Investmentbanking getätigt hat. Vereinzelt kann das aber durch taktisches Vermögen ausgeglichen werden", sagt der bekannte Personalberater Thomas Tomkos, der seit Jahren Vorstandsposten besetzt.
Der Einfluss des Vaters
Zwei Wochen nimmt sich das Kontrollgremium Zeit, dann steht ihr Aufstieg an die Spitze fest: "Ich wusste, dass ich das kann. Da war ich mir in der Situation sehr sicher", sagt Orlopp. "Für die Commerzbank ist mein Führungsstil richtig und gut. Das Wichtigste in dieser Situation ist, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, dass man die Organisation zur Ruhe bringt, selbst wenn von außen Unruhe produziert wird."
Tatsächlich bringt die neue Chefin eine Erfahrung mit, von der die wenigsten zu jener Zeit etwas wissen oder ahnen. Wie hart es an der Spitze von Konzernen zugehen kann, hat Orlopp nämlich als Jugendliche bei ihrem Vater erlebt: Friedrich Schiefer machte einst selbst Karriere bei McKinsey, bevor er Anfang der 90er-Jahre als Finanzvorstand zum Versicherungskonzern Allianz wechselte. Dort war er offiziell schon als Nachfolger für den Chefposten designiert, wurde jedoch vom machtbewussten Amtsinhaber wieder aus dem Konzern gedrängt. Der "Spiegel" berichtete damals ausführlich über die Demütigung. Schiefer wechselte zu Bosch und zog als Nordamerika-Chef in die USA. "Mein Vater hat mich geprägt", sagt Orlopp heute. "Ich bin ihm von der Art auch nicht ganz unähnlich."
Trotz dieser Erfahrung folgt sie den Spuren des Vaters, verrät ihm aber erst, dass sie zu McKinsey will, nachdem sie die Zusage für den Job in der Tasche hat. Er verstirbt mit 57 Jahren, da steht sie mit Mitte 20 gerade am Anfang ihrer Karriere. Sie habe seine hellen Augen und seinen Blick geerbt, sagt eine Freundin, die den Vater selbst nie kennenlernte, die Ähnlichkeit aber immer wieder in der Familie gehört hat.
Auf jeden Fall hat Orlopp ihren Blick geschärft für das Gebaren von Konzernbossen. "Mein Vorteil ist, dass ich seit Jahrzehnten CEOs erlebt und mit ihnen zusammengearbeitet habe - mit vorherigen Chefs und auch mit Kunden." Sie wisse, was man in dieser Rolle macht und was man besser lässt. Trotzdem habe sie nach ihrer Berufung an die Spitze ein paar andere Chefs angerufen und um Rat gebeten.
Ihr Netzwerk ist mächtig, die Weggefährten aus knapp 20 Jahren bei McKinsey sitzen inzwischen an vielen Schaltstellen. Dazu ist Orlopp Mitglied der Baden-Badener Unternehmer Gespräche, einem der elitärsten und mächtigsten Karrierezirkel des Landes. Clara-Christina Streit zum Beispiel, Aufsichtsratschefin der Deutschen Börse, die ihre Karriere mit Orlopp bei McKinsey startete und seit 30 Jahren mit ihr befreundet ist, rät ihr, die Nerven zu behalten: "Das ist ein Marathon und kein Sprint. Da muss man Kraft bewahren und zwischendurch immer mal Ruhe tanken." Streit war selbst drei Jahre bei der Unicredit und weiß, wie hart Orlopp und Orcel weiter um ihre Interessen ringen werden.
Eine Schonfrist in dem neuen Job hat Orlopp nicht. Ihre Mammutaufgabe teilt sie auf drei Teams auf: eins für die Unicredit-Abwehr, eins für den neuen Strategieplan, eins für das Tagesgeschäft. Ihr Plan klingt einfach: Die Profitabilität muss hoch und die Dividende auch. So soll der Aktienkurs hochgetrieben werden, damit die bisherigen Investoren bleiben und der Einstieg für Orcel unattraktiv wird. Orlopp macht Tempo - und erreicht mehr als ihre Vorgänger in den vergangenen 15 Jahren.
Als frühere Finanzchefin weiß Orlopp, wie sie die Schrauben in der Bank drehen muss, damit sich auch die Zahlen bewegen. Als Erstes zieht sie alle Beteiligten auf ihre Seite: Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat, Mitarbeiter, Bundesregierung und Investoren folgen ihr. Ihr Ziel: Die Commerzbank kann eigenständig besser überleben als unter der Fuchtel der Unicredit. Dafür liefert sie eine Wachstumsstory und gute Bilanzzahlen, der Aktienkurs kennt plötzlich nur noch eine Richtung.
Das verschafft ihr Respekt. "Sie hat meine Erwartungen übererfüllt", heißt es aus dem Aufsichtsrat der Bank. Sie arbeite hochkonzentriert, professionell, habe den Konzern mit überlegten Aktionen gestärkt und einen Punktgewinn nach dem anderen in der Abwehrschlacht herausgearbeitet. "Sie macht einen grandiosen Job. Ich bin ein großer Fan von ihr", sagt der Mann.
Es ist ein Etappensieg für Orlopp, mehr nicht. Dass sie aber überhaupt so weit kommen würde, hatte im Herbst kaum jemand erwartet. Wer sich die Commerzbank jetzt noch einverleiben will, wird einen hohen Preis zahlen müssen.
Eine heikle Phase für Orcel
Orcel tobt. Der Unicredit-Chef stänkert in Zeitungsinterviews gegen das unfaire Gebaren der Deutschen. Sein Überraschungscoup ist verpufft. Bei seinem Einstieg hatte er Commerzbank-Aktien für rund 13 Euro gekauft. Der Kurs lag geschätzt rund 60 Prozent unter dem Buchwert - ein Deal, der so günstig war, dass Orcel einen dicken Puffer für die Übernahme gehabt hätte. Seitdem die Aktie aber über 25 Euro gestiegen ist, ist das Kurs-Buchwertverhältnis ausgeglichen und der Puffer weg. Jetzt müsste Orcel drauflegen und das Geld an anderer Stelle einsparen.
Orcel sitzt seither auf 9,5 Prozent der Commerzbank-Aktien und hält Optionen auf weitere 19 Prozent. Sobald die Unicredit zukauft und mehr als 30 Prozent der Anteile besitzt, muss sie ein Übernahmeangebot an alle Aktionäre vorlegen. Das müsste wohl deutlich über dem aktuell weiter steigenden Kurs liegen. "Die Investoren verlangen eine Prämie von 30 Prozent", sagt ein Finanzmarktstratege. Das bedeutet für Orcel: Ab jetzt wird die Übernahme richtig teuer. Damit sie noch Sinn ergibt, müsste er massive Kostensenkungen einrechnen - was nur mit einem weiteren deutlichen Jobabbau gehen würde. Bundeskanzler Friedrich Merz hat dem Commerzbank-Betriebsrat seine Unterstützung bereits schriftlich zugesagt.
Orcel ist in der Zwickmühle. Die nette Frau Orlopp hat es geschafft, den beinharten Investmentbanker auszubooten. Oder ihn zumindest in eine Lage zu manövrieren, in der er nicht viel machen kann. Monat um Monat vergeht nun, ohne dass er ein Übernahmeangebot vorlegt. Es ist eine Phase, in der beide Seiten pokern können. Orcel wartet darauf, dass die Aktie wieder günstiger wird und er doch noch zuschlagen kann. Orlopp und die Regierung in Berlin prüfen derweil andere Optionen. Offiziell redet niemand darüber, aber die Lage ist klar: Auch der Bund würde sich beim aktuellen Kurs nur zu gerne von seinen verbliebenen zwölf Prozent trennen. Es wäre die Chance, doch noch ohne Verlust aus dem Staatseinstieg herauszukommen. Nur eben nicht zugunsten von Orcel.
Da Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing mehrfach abgewunken hat, müsste ein alternativer Käufer wohl ebenso aus dem Ausland kommen - und da bleiben eigentlich nur die französischen Großbanken BNP Paribas oder die Société Générale. Ein solcher Deal hätte aus Sicht der deutschen Regierung mehrere Vorteile: Kanzler Friedrich Merz sucht ohnehin den Schulterschluss mit Paris, zudem könnte die Regierung so auch ihre Unterstützung einer engeren Verflechtung der europäischen Kapitalmärkte belegen. Schließlich habe eine grenzüberschreitende Fusion eine "klare Industrielogik", sagt ein Investmentbanker. "Über kurz oder lang wird die Commerzbank ihre Eigenständigkeit verlieren."
Orlopp kennt diese Diskussionen natürlich, sie ist ja nicht naiv. Offiziell verteidigt sie die Eigenständigkeit ihrer Bank jedoch eisenhart, allein schon, um den Aktienkurs hochzuhalten. Aber auch sie hält sich Türen offen: "Sollte ein Angebot auf den Tisch kommen, werden wir uns das anschauen und ergebnisoffen prüfen", sagt sie ganz nüchtern.
Es ist diese Nüchternheit, mit der Orlopp Männer wie Orcel ganz beiläufig unter Druck setzen kann. Für die Commerzbank ist damit noch nichts endgültig gewonnen. Aber es gibt wieder Optionen und Alternativen zu einer Komplettübernahme. Und das ist weit mehr, als die meisten Beobachter vor neun Monaten für möglich gehalten haben.