„Meine Vision: Heute verkaufen wir das Sägeblatt, morgen den Schnitt"

01.06.2023 – Jörg Blecher, Inhaber der August Blecher GmbH

Jörg Blecher, Chef der August Blecher GmbH, steht vor einem 2,70 Meter großem Sägeblatt und blickt nach vorne.

„Tennis war mein Zufluchtsort. Auf dem Platz konnte ich meinen Frust rauslassen, mich aber auch beweisen. Ich wollte jeden Tag besser werden. Das hat mich enorm motiviert. Damals habe ich fürs Leben gelernt: Nichts ist am Ende des Tages wichtiger als Training und Zielstrebigkeit, um ein gewisses Niveau zu erreichen. Auch wenn es manchmal Überwindung kostet.“

Ein Unternehmen mit langer Tradition

„Das Rückgrat der Deutschen Wirtschaft ist ihr extrem starker Mittelstand mit fleißigen und innovativen Persönlichkeiten“, hat der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Dr. Jörg Krämer, einmal in einem Interview gesagt. Die August Blecher GmbH aus Remscheid ist ein Paradebeispiel dafür. Das Unternehmen wurde 1859 zunächst als Handelsgeschäft gegründet. 1882 beginnt die Produktion von Industrie-Sägeblättern aller Art, die natürlich für Otto Normalverbraucher und sein Kaminholz nicht zu gebrauchen sind: Zum Teil 400 Kilo schwer bei einem Durchmesser von bis zu 2,70 Meter werden die schnittigen Ungetüme in zwei jeweils zirka 1.000 Quadratmeter großen Fertigungshallen auf eigens entwickelten Blecher-Maschinen hergestellt.

Das Unternehmen exportiert weltweit in 90 Länder und zählt zu den Big Playern. Die Unternehmenssprache ist zurückhaltend, detailgenau, sachlich, ja man könnte sagen, speziell. Es ist die Sprache und die Handschrift von Jörg Blecher, der mit seinen 38 Jahren klare Pläne hat und sehr sachlich über sein Unternehmen und seinen Werdegang spricht. Er führt das Unternehmen in 6. Generation, aber eben nicht als klassisches Erbe.

Der ungewöhnliche Generationswechsel

Er wollte seine Unabhängigkeit sich genauso bewahren wie als Jugendlicher auf dem Tennisplatz, hatte dabei ein großes Ziel. Der gelernte Diplom-Kaufmann wollte führen, er wollte die Verantwortung. Die sucht er zunächst aber nicht im väterlichen Unternehmen. „Ich muss gestehen, dass mein Vater ein Unternehmer alten Schlages ist, das hat seinen Wert und auch seine Berechtigung, aber ich kam damit nicht klar. Nach der Scheidung meiner Eltern hatte ich sowieso kein einfaches Verhältnis zu ihm“, sagt der Remscheider, der selbst eine Tochter im Alter von sieben Jahren hat.

Daher entschied er sich nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann für ein duales Wirtschaftsstudium, fuhr nebenbei Pizza aus und gab einfach Gas. Mit 23 Jahren die ersten Jobs im Ausland, In England, den USA, China, Ecuador bei namenhaften Unternehmen. Als sein Vater in 2011 fragte, ob er nicht im eigenen Familienunternehmen arbeiten möchte, gab es zwei unabdingbare Bedingungen: Respektvoller Umgang auf Augenhöhe und ein klarer 5 Jahresplan, der die Geschäftsführung in Aussicht stellt. Vater und Sohn besiegelten die Vereinbarung mit Handschlag. Nur 2 ½ Jahre später, in denen er Qualitätsmanagement, technischen Vertrieb und auch Repräsentanzaufgaben im Ausland übernahm, bat ihn sein Vater den Vertrieb zu leiten. Auch zu diesem Angebot stellt Jörg Blecher seine Bedingung, seine Pläne umsetzen zu können und einen Unternehmensberater an seiner Seite.

Am Ende hat das meinen Vater auch ein Stück weit beeindruckt, dass ich so deutlich einen Plan hatte, wie ich nach vorne gehen möchte.

2018, damals gerade 34 Jahre alt, war wieder ein Satz gewonnen, aber noch nicht das Spiel, das er nach anderen Regeln führen wollte. Als jüngster im Vertriebsteam und Sohn des Chefs erwartete ihn damit eine Herkulesaufgabe. Er übertrug Entscheidungsbefugnisse in sein Team, das gewohnt war, dass der Chef das letzte Wort hatte. Gleichzeitig stellt er sich gegenüber seinem Vater vor die Entscheidungen seines Teams. Das hat ihm Gesicht gebracht gegenüber seinen Mitarbeitern und gegenüber seinem Vater. Unterstützung erhielt er dabei nur von seinem Coach, denn innerbetrieblich war keiner stärker als der Chef. Der Vater zog sich in dieser Zeit weiter aus dem Geschäft zurück und wollte irgendwann ganz raus. Auch hier gab es für Jörg Blecher nur klare Bedingungen. „Entweder ich gehe auch raus, oder Du nennst mir einen Preis.“ Ihm ging es um 100 Prozent, um klare Strukturen und um Unabhängigkeit wie auf dem Tennisplatz.

Zu den potentiellen Finanzpartnern habe ich immer gesagt, also hier bin ich. Ihr könnt mir nicht in die Tasche greifen, wie ihr seht. Ich möchte aber gerne das Unternehmen kaufen.

Im Juli 2020 verwandelte er dann den wohl wichtigsten Matchball seines Lebens. Seitdem ist er Besitzer der „August Blecher GmbH“. Voraussetzungen dafür waren aus seiner Sicht, stets einen Plan zu haben und diesen sachlich artikulieren zu können, sowie letztlich aber auch bereit zu sein die Konsequenzen zu ziehen, wenn vereinbarte Bedingungen nicht eingehalten werden. Es war ein weiter Weg voller Abbiegungen und gefährlicher Kurven. Ein Match eben, das es in sich hatte.

Inspiration von Start-ups

Jörg Blecher wollte neue Sparringspartner aufbauen – und dorthin gehen, wo anders gearbeitet wird, wo Ideen gesponnen und entwickelt werden. Seine neuen Zufluchtsorte waren nicht mehr die Tennisplätze, sondern die Start-up-Szenen in Köln und Düsseldorf. Der Vorteil dieser Kultur: „Freiheit im Räumlichen und Zeitlichen. Unheimliche Leidenschaft, eine brutale Motivation und Offenheit gegenüber Fremden. Also das waren Dinge, die mich unheimlich angesteckt haben.“

Schritt für Schritt verändert er sein Unternehmen, um Veränderungen meistern zu können: Flachere Hierarchien, Verantwortung beim Mitarbeiter, Verhaltensregeln, Teamarbeit. Mit dieser Kultur will er auch den nötigen Unterschied machen, um im Unternehmen effizienter zu werden. Neben der Modernisierung und Robotisierung des Maschinenparks und der Digitalisierung in der richtigen Dosis, sieht er im Mitarbeiter-Mindset den wesentlichen Ansatz. „Ich möchte, dass wir ‘Formeleinsdenken‘ an den Tag legen. Jeder für sich an seinem Arbeitsplatz. Wenn es nur um das Schräubchen geht, das alle drei Tage festgeschraubt werden muss. Wie löse ich diese Aufgabe z. B. drei Minuten schneller.“

Von Marktführern lernen ist seine Devise. Dazu schickt er seine Führungskräfte in Amazon-Lager, über Prozessorganisation zu lernen und erwartet ähnliche AHA-Momente, wie ihn die Start-ups begeistert haben.

Neue Herausforderungen wegen des Krieges

Seit zweieinhalb Jahren ist der 38-jährige Besitzer des Traditionsunternehmens und erlebt Corona, den Krieg in der Ukraine, die Energiekrise sowie lauernder Konkurrenten aus China und Asien. Es ist wie ein Match gegen scheinbar übermächtige Gegner.

Nicht dass es in den letzten 30 Jahren keine Krisen gab, aber dann nur eine Krise at a Time. Jetzt haben wir diese Komplexität, dass viele Krisen ineinandergreifen.

Der Ukrainekrieg trifft das Unternehmen besonders. Viele Produkte der Blecher GmbH stehen auf der Sanktionsliste und dürfen nicht nach Russland geliefert werden. Ein wichtiger Markt für Blecher GmbH. Seine Einschätzung ist, dass Märkte, die einmal weggebrochen sind, schwer oder gar nicht zurückgewonnen werden können. Aber auch hier ist seine Sachlichkeit seine Stärke. Er verschafft sich einen Marktüberblick mit seinen Sparringspartnern, Dienstleistern, seinen Finanzpartnern, und bespricht sich mit seinem Beirat. Letztlich trifft er die Entscheidung, das Russlandgeschäft, das nicht von Sanktionen betroffen ist, fortzuführen.

„Das sind Partner, mit denen wir mittlerweile 10 Jahre zusammenarbeiten. Das kann man nicht einfach aus politischen Gefechten über den Haufen werfen. Stattdessen habe ich mir über persönliche Gespräche selbst einen Eindruck verschafft, wie Partner über die Geschehnisse denkt und ob eine Zusammenarbeit rein menschlich und ethisch weiterfunktioniert.“ Ein globaler Kampf, der viel abverlangt an Zeit und Energie und trotzdem einen erprobten Kämpfer wie Jörg Blecher noch Raum für die Zukunft gibt.

Neue Geschäftsidee während eines Langstreckenfluges

In Zukunft verkaufen wir nicht das Sägeblatt, sondern den Schnitt.

Die Idee kam dem Unternehmer während eines Langstreckenfluges, sie wird mittlerweile von der EU unterstützt und könnte den Markt revolutionieren. Sie heiß „smart cut“, ist eine Plattform, auf der andere produzierende Unternehmen Blecher Know-how für die eigene Produktion erwerben können. Mit den Worten von Jörg Blecher ausgedrückt heißt das speziell: „Die Firma Blecher wird eine Plattform haben, wo wir über Maschinennetzwerke unseren Kunden mitteilen, wie sie ihre Werkzeuge, und damit das Schnittergebnis und die Präzision und so weiter am besten generieren können. Und zwar mit unserem Wissen. Das kann mit unseren Werkzeugen sein, aber es muss nicht mehr primär mit unseren Werkzeugen sein, sondern es kann auch mit den Werkzeugen von unseren Wettbewerbern sein. Wichtig ist, dass wir die Cloud haben und die Maschinen beziehungsweise unsere Kunden eben miteinander vernetzen, um dieses Wissen dann eben zum Einsatz zu bringen.“

Eine Vision, die wiederum in der Umsetzung viel Kraft, aber auch Klinkenputzen und Mut beuten. Aber erste Partner wie Thyssen Krupp sind gefunden. Gibt es ein Patentrezept für ihn, das Erfolg garantiert, auch anderen Erben die Übernahme des Geschäftes erleichtern könnte? „Wichtig ist es einen Plan zu haben. Und immer daran zu denken, dass es um die Sache geht. Emotionen haben auf dieser Ebene nichts zu suchen. Und natürlich Mut. Den Mut zu haben, Verantwortung zu übernehmen. Das heißt Entscheidungen zu treffen für sich, aber auch für andere Mitarbeiter*innen des Unternehmens, aber auch für nahestehende Menschen wie die Familie. Zur richtigen Entscheidung gehört auch der Rat und die Expertise von außen.

Neue Perspektiven sind wichtig.“ Als Unternehmer steht Jörg Blecher nicht mehr alleine auf dem Platz – und ist dafür dankbar.

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